06.02.2019 Thorsten Rensing

14.320 – die Zahl einer verunsicherten Branche

  • Thorsten Rensing, Geschäftsführer von STAFF RENT und bis vor kurzem Bundesvorstandsmitglied des iGZ, analysiert die Gründe für das Scheitern der Petition zur Abschaffung der Überlassungshöchstdauer
  • Seines Erachtens sind die Ursachen vielfältig. Sie liegen im negativen Bild, das die Gewerkschaften seit Jahrzehnten erfolgreich von Zeitarbeitgebern zeichnen. In der einseitigen Berichterstattung der Medien. In der unfairen Behandlung durch die Politik. Vor allem aber liegen sie darin, dass die Zeitarbeitsbranche zu ängstlich agiert und nicht zusammenhält
  • Sein Fazit: Unter diesen Umständen hatte die Petition nie eine Chance!

6.943. Das ist die Zahl der Leute, die die Petition zur Abschaffung der Überlassungshöchstdauer (ÜHD) online mitgezeichnet haben. Rechnet man die 7.377 Offline-Mitzeichner dazu, wurde die Petition von insgesamt 14.320 Akteuren aus der Zeitarbeit unterstützt. Dabei waren im Jahresschnitt 2017 rund 1,03 Millionen Menschen in der Branche beschäftigt – und potenziell von den Folgen der ÜHD betroffen. Mitgezeichnet haben also nur 1,4 Prozent aller Zeitarbeitnehmer. Woran liegt das? Meines Erachtens gibt es mehrere Gründe.

„Sklavenhandel“: Ein durch Gewerkschaften produziertes Bild überdauert Jahrzehnte
Das von den Gewerkschaften medial durch Kampagnen aufgebaute Bild des Zeitarbeitgebers als reicher Sklavenhändler hat sich tief in das kollektive Gedächtnis gebrannt und verfolgt unsere Branche wie ein Schatten. Dabei ist das Geschäft mit der Überlassung von Arbeitskraft eines wie jedes andere auch. Jeder KFZ-Mechaniker, jeder Maurer, jeder Angestellte erhält von seinem Arbeitgeber nur einen Bruchteil des Umsatzes als Lohn.

In anderen Branchen wird das als Normalität angesehen. Nur wenn es die Zeitarbeit macht, ist es verwerflich. Das ist absurd, denn gerade diese Hochrisikobranche braucht konstante Gewinne, um Lohnnebenkosten, Urlaub und Krankheit bezahlen zu können. Schließlich ist das der größte relevante Kostenblock.

Medien: Skandal statt Sachebene
Zeitarbeit ist ein komplexes Geschäftsmodell, das nicht jedem auf den ersten Blick einleuchtet. Für Medien ist es einfach interessanter, Human Touch Stories zu servieren, als tatsächlich Information zu vermitteln. Im Kampf um die Quote gilt: Kompliziert guckt keiner. Ein Beispiel? Für eine Dokumentation suchte ein Infotainment Magazin der öffentlich-rechtlichen Kanäle „von Leiharbeit betroffene“ Personen. Auf meine Nachfrage, ob sie Journalisten oder nur „von Journalismus Betroffene“ seien, bekam ich die Antwort, dass sie sich als Enthüllungsjournalisten sehen würden, und deshalb ausschließlich die negativen Seiten beleuchten wollten. Die Zahlen, Daten und Fakten der Bundesagentur für Arbeit machen es den Medien zusätzlich leicht, aus den immer selben Zutaten neuen Brei anzurühren.

Wir bringen Menschen in Arbeit, wir integrieren Flüchtlinge, schaffen Tandem-Jobs und helfen beim Wiedereinstieg der über 50-Jährigen. Aber: Wir haben Angst vor unserem eigenen Schatten! Zermürbt durch Jahre der Diskriminierung trauen wir uns nicht, die Preise aufzurufen, die wir wert sind.

– Thorsten Rensing hält die Branche für zu ängstlich:

Politik: Machterhalt vor Sacharbeit
Seit 1972 wurden am Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) stets Veränderungen vorgenommen. Je schlechter die Wirtschaftslage, umso lockerer das Gesetz. Je besser die Lage, desto mehr Restriktionen wurden und werden wieder eingezogen. Warum ist das so?

Nun, die Antwort ist einfach und einleuchtend. Die Zeitarbeit hat ein Fairness-Problem. In einem privaten Gespräch mit einem Politiker auf Bundesebene hieß es, als ich darauf hinwies, dass Fairness auch uns gegenüber angebracht sei: „Das kann ja sein, aber mein Job ist es, Mehrheiten zu organisieren.“ Die Sachebene ist lange hinter die Machtebene zurückgetreten. Von daher legt, frei nach Schumpeter, eher ein Hund einen Wurstvorrat an, als dass die Politik die Zeitarbeit zur Ruhe kommen lässt. Zu verlockend ist der politische Gewinn; zu gering ist das Risiko bei einer Branche, die so klein ist wie unsere.

iGZ und BAP: Zwei Verbände, keine Stimme
Die beiden Verbände in unserer Branche leisten Menschenmögliches, aber eben eher gegen- als miteinander. Man beschäftigt sich zu viel mit Personalien, mit Befindlichkeiten und alten Animositäten, statt tatsächlich zusammenzuarbeiten. Das untermauert nur das Gefühl der Politik, mit unserer Branche machen zu können, was sie will. Ohne dafür belangt, sprich: abgewählt, zu werden. Wenn es hart auf hart kommt, verschicken die Verbände eine Pressemitteilung. Pardon, natürlich sind es zwei Pressemitteilungen! Die aber beide nur wenig Aufmerksamkeit erlangen.

Diese gescheiterte Petition ist ein schönes Beispiel für fehlende Zusammenarbeit. Während sie der eine Verband aus guten Gründen zwar bekanntmachte, aber nicht das Anliegen der Arbeitnehmer durch Unterstützung der Arbeitgeber untermauern wollte, erfuhr der andere erst sehr spät davon und stürzte sich unreflektiert und unkoordiniert ins Getümmel. Da kann man sich als Mitglied dann schon mal alleingelassen vorkommen – und sich fragen, wofür man seine Beiträge zahlt.

Zeitarbeitgeber: Wir sind zu ängstlich
Wie beschrieben, haben wir Zeitarbeitgeber rund 1,03 Millionen gute Mitarbeiter. Wir sind ein Motor des Bruttoinlandsprodukts. Alleine schon mathematisch, weil unsere Leute eine Einsatzauslastung beim Kunden haben, die bei nahezu 100 Prozent liegt. Es gibt keine andere Branche, die das von sich behaupten kann.

Wir bringen Menschen in Arbeit, wir integrieren Flüchtlinge, schaffen Tandem-Jobs und helfen beim Wiedereinstieg der über 50-Jährigen. Aber: Wir haben Angst vor unserem eigenen Schatten! Zermürbt durch Jahre der Diskriminierung trauen wir uns nicht, die Preise aufzurufen, die wir wert sind. Wir erhöhen Verrechnungssätze nur, wenn Tarifvertragssteigerungen anstehen. Oder wenn der Branchenzuschlag es möglich macht.

Wir lassen es zu, dass der Kunde zehn Zeitarbeitsunternehmen anruft, weil er einen Zeitarbeitnehmer zur Unterstützung sucht. Auf Zuruf schalten alle zehn dann Anzeigen und werfen die Recruiting-Maschine an. Neun von zehn kriegen diese Suche aber nicht bezahlt. Fragen Sie doch mal Ihren Steuerberater, ob Sie nichts bezahlen müssen, wenn er für Ihr Unternehmen einen Verlust ausrechnet. Vermutlich nicht, oder? In unserer Branche hingegen ist das gang und gäbe. Lasst uns das ändern! Wir brauchen eine breite Brust. Erst dann werden uns die Politiker ernst nehmen. Ihr politischer Gewinn wird dabei zwar nicht größer. Wohl aber ihr Risiko, wenn sie es nicht tun.

Fazit
Die Gründe für das Scheitern der Petition zur ÜHD-Abschaffung in einem Satz zusammengefasst: Unsere Branche ist desillusioniert und ängstlich, ihr fehlen in großen Teilen Zusammenhalt und Identifikation. Unter diesen Umständen hatte die Petition nie eine Chance. Was wir brauchen, ist ein anderes Mindset. Erst dann ist Veränderung möglich.



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