18.08.2020 Alexander Jäger

Vorurteile gegen die Zeitarbeit – und wie sie sich entkräften lassen

  • Alexander Jäger ist Vertriebsleiter bei einem mittelständischen Personaldienstleister und kennt die Vorurteile, die sowohl Kunden als auch Bewerber gegenüber der Zeitarbeitsbranche haben, aus seinem Arbeitsalltag nur zu genau
  • In seinem Beitrag geht er auf sechs der gängigsten Vorurteile ein – und zeigt, wie sie sich argumentativ entkräften lassen: „Letztlich sind Vorurteile nämlich nichts anderes als Ängste der Bewerber oder Unternehmen. Dein Job ist es, diesen Ängsten zu begegnen und sie aufzulösen“, erklärt der Diplom-Betriebswirt
  • Bei dem Text handelt es sich um einen Auszug aus Alexander Jägers Buch „Zeitarbeit für Anfänger und Fortgeschrittene. Praxistipps zur Kunden- und Mitarbeitergewinnung“, das hier erhältlich ist

Wenn ich an meine Akquise-Telefonate oder an die vielen Vorstellungsgespräche, die ich mit Kandidaten geführt habe, zurückdenke, fallen mir viele Gespräche ein, in denen die Personaldienstleistung schlecht gemacht wurde. Das Thema Zeitarbeit wird auch heute noch von vielen abgelehnt. Das kann daran liegen, dass sowohl die Unternehmen als auch die Bewerber noch gar keine Erfahrung mit Zeitarbeit gemacht und nur von anderen etwas Negatives gehört haben. Oder sie haben selbst schlechte Erfahrung gemacht, weil sie sich für die falsche Zeitarbeitsfirma entschieden haben. Wir müssen ehrlich sein, es gibt in jeder Branche „schwarze Schafe“ auf dem Markt. Jedoch sind pauschale Vorurteile gegenüber der gesamten Zeitarbeitsbranche nicht nachvollziehbar.

Vorurteile von Auftraggebern
Gerade die Firmen, die die größten Vorurteile haben, solltest Du persönlich besuchen und herausfinden, wo das Problem liegt. Gehe genau auf die Vorurteile ein und gib Deinem Gesprächspartner das Gefühl, dass es mit Dir als Ansprechpartner besser wird. Bring dem Entscheider die Vorteile Deiner Arbeit näher. Besonders in der heutigen Zeit des Bewerbermangels kannst Du Deinem Ansprechpartner ganz klar vor Augen führen, dass die Arbeitnehmerüberlassung als eine strategische Rekrutierungsform genutzt werden kann. Dadurch bekommt er ein besseres Gefühl, ob der ausgewählte Zeitarbeitnehmer zu seinem Unternehmen passt oder nicht. Diesen kann er nach einer gewissen Zeit, in Festanstellung übernehmen.

Vorurteile von Bewerbern
Bei den Bewerbern musst Du so ähnlich vorgehen. Frag sie, warum sie Vorurteile haben. Gehe auf diese Vorurteile ein und gib ihnen das Gefühl, dass Du sie verstehst und besonders darauf achten wirst, dass das Vorurteil nicht Wirklichkeit wird. Die Arbeitnehmerüberlassung wird auch für Bewerber immer attraktiver. Bewerber, die länger keinen Job hatten, können über die Zeitarbeit wieder in der Arbeitswelt Fuß fassen. Zeitarbeiter können verschiedene Unternehmen aus verschiedenen Branchen kennenlernen.

Ganz gleich, ob im Gespräch mit potenziellen Auftraggebern oder Bewerbern: Für den Erfolg Deiner Arbeit ist es wichtig, dass Du die gängigen Vorurteile gegen unsere Branche kennst und sie argumentativ entkräften kannst. Im Folgenden zeige ich Dir anhand von sechs konkreten Beispielen, wie das gelingt:

Vorurteil #1: Zeitarbeitnehmer verdienen weniger als festangestellte Mitarbeiter
Bereits während dem Vorstellungsgespräch antworten mir einige Bewerber auf die Frage: „Wie hoch ist ihre Gehaltsvorstellung?“, dass wir über Arbeitnehmerüberlassung nicht so viel bezahlen können, wie er es sich vorstellt. Und genau diesen Bewerbern beweisen wir es umso mehr. Wenn der Bewerber eine qualitativ hohe, gute Ausbildung und langjährige Berufserfahrung hat, obendrein noch körperlich belastbar ist, dann finden wir immer einen Kunden, der so einen Mitarbeiter gerne einstellt.

Viele Bewerber oder zukünftige Zeitarbeitnehmer haben Angst, dass sie über die Zeitarbeit weniger verdienen als in Festanstellung. Damit dieses Vorurteil außer Kraft gesetzt werden kann, sollte im Vorstellungsgespräch geklärt werden, wie hoch das Nettoeinkommen des zukünftigen Zeitarbeiternehmers sein muss. Danach kommt es auf Deine Verhandlungsstärke an, den richtigen Verrechnungssatz je Stunde bei Deinem Kunden durchzusetzen, damit Du Deinem Zeitarbeitnehmer seinen gewünschten Lohn bezahlen kannst. Du kannst neben dem Tariflohn nach iGZ-DGB oder BAP-DGB Deinen Mitarbeitern auch außertarifliche Zulagen, Fahrgeld, Übernachtungspauschalen und Familienheimfahrt bezahlen. Dadurch kann der Nettolohn Deines Mitarbeiters höher liegen als von dem des Festangestellten.

Zusätzlich zu diesem Vorurteil hat die Gesetzgebung zum 1. April 2017 eine Gesetzesänderung eingeführt: Equal Pay und Equal Treatment. Das Equal Pay besagt, wenn ein Zeitarbeitnehmer länger als neun Monate bei demselben Kunden im Einsatz ist, muss der Lohn des Zeitarbeitnehmers an den Lohn des festangestellten Mitarbeiters, welcher die gleiche Tätigkeit ausübt, angepasst werden. Sollte der Lohn des Zeitarbeitnehmers bereits über dem des festangestellten Mitarbeiters liegen, dann bleibt alles so wie es ist. Das Equal Treatment ist die Gleichstellung der Zeitarbeiter im Kundenunternehmen. Wenn das Kundenunternehmen eine Kantine für die festangestellten Mitarbeiter hat, dann dürfen die Zeitarbeiter diese Kantine in der gleichen Form nutzen.

Neben dem gesetzlichen Equal Pay gibt es noch die Branchentarifzuschläge. Wenn der Kundenbetrieb in einen tariflichen Branchenzuschlag fällt, so erhöht sich der Lohn des Zeitarbeitnehmers zum Beispiel beim Tarifvertrag „Branchenzuschlag Metall- und Elektro-Industrie“ automatisch nach den ersten sechs Wochen um 15 Prozent, nach dem dritten vollendeten Monat um 20 Prozent, nach dem fünften vollendeten Monat um 30 Prozent und so weiter.

Vorurteil #2: Zeitarbeiter haben weniger Rechte als festangestellte Mitarbeiter
Manche Zeitarbeiter haben Angst, dass sie im Kundenunternehmen weniger Rechte haben als festangestellte Mitarbeiter. Um dieser Gefahr zu entgehen, hat die Gesetzgebung den schon erwähnten Gleichstellungsgrundsatz, das sogenannten Equal Treatment, im § 10 Abs. 4 AÜG geregelt. Dieser Grundsatz besagt, dass ein Zeitarbeiter, der über Arbeitnehmerüberlassung im Entleihbetrieb eingesetzt wird, alle Gemeinschaftseinrichtungen wie Pausenräume oder Unternehmens-Kita nutzen darf. Wenn der Zeitarbeiter länger als drei Monate im Kundenbetrieb eingesetzt wird, darf er sogar den Betriebsrat mitwählen.

Vorurteil #3: Kein Einsatz im Kundenbetrieb, kein Geld
Ich hatte schon öfters den Fall, dass bei mir top qualifizierte Bewerber im Vorstellungsgespräch saßen, die bereits bei einem anderen Personaldienstleister gearbeitet hatten, dort jedoch in der einsatzfreien nicht Zeit bezahlt wurden. In diesem Moment versuche ich das Vertrauen des Bewerbers zu gewinnen und bestätige ihm, dass wir in der einsatzfreien Zeit seinen Lohn ganz normal bezahlen werden. Das gilt ebenfalls für Urlaubs- oder Krankheitstage. Wir als Personaldienstleister tragen das Risiko. Somit ist es unsere Aufgabe, so schnell wie möglich einen Folgeauftrag zu finden.

Alle Unternehmen mit dem ‚Sklaventreiber-Glaubenssatz‘ müssen beraten werden. Die Vorteile der Arbeitnehmerüberlassung und die Tatsache, dass Zeitarbeitnehmer in der Regel freiwillig über Zeitarbeit in Anstellung gehen, müssen herausgearbeitet werden.

– Alexander Jäger zum Umgang mit dem Sklaventreiber-Image:

Vorurteil #4: Zeitarbeitnehmer werden schneller gekündigt
Einige Bewerber haben Angst, dass Sie gekündigt werden, sobald der Einsatz beim Kunden zu Ende ist. Das stimmt, zumindest bei meinem Arbeitgeber, nicht. Bei uns bekommen alle zukünftigen Mitarbeiter einen unbefristeten Arbeitsvertrag und haben Arbeitsplatzsicherheit. In der heutigen Zeit des Fachkräftemangels wird die Arbeitnehmerüberlassung zudem von vielen Kunden als eine strategische Rekrutierungsform genutzt, um gutes Personal zu bekommen. Somit besteht bei einer guten Zusammenarbeit zwischen Zeitarbeitnehmer und Kunden eine Übernahmeoption der eingesetzten Mitarbeiter in Festanstellung. Falls der Zeitarbeitnehmer vom Kunden abgemeldet wird, wird er bei uns nicht gekündigt, sondern in der Regel direkt in einen Folgeauftrag vermittelt.

Vorurteil #5: Zeitarbeit ist nichts für Fachkräfte
Dieses Vorurteil stimmt so nicht. Es gibt sehr viele Personaldienstleister, die sich auf die Vermittlung von gut ausgebildeten Fachkräften spezialisiert haben. Heutzutage können sogar Ärzte, IT-Spezialisten, Juristen, Buchhalter, Controller, Produktdesigner und sogar Führungskräfte über Arbeitnehmerüberlassung vermittelt werden. Dabei sammeln die Fachkräfte in verschiedenen Unternehmen verschiedener Branchen Erfahrung und können für sich entscheiden, in welcher Branche sie sich wohl fühlen. Viele Fachkräfte sehen die Arbeitnehmerüberlassung als eine Chance, um möglichst viele Erfahrungen zu sammeln.

Vorurteil #6: Zeitarbeitsunternehmen sind Sklaventreiber
Die ‚lustigste‘ Aussage, die von den Kunden kommt, ist: „Wir arbeiten nicht mit Sklaventreibern zusammen“. Genau diese Kunden werden in den nächsten Jahren merken, wie wichtig es ist, mit uns ‚modernen Sklaventreibern‘ zu kooperieren. Es wird für sie immer schwerer, zuverlässiges und fachkompetentes Personal zu finden. Aufgrund dessen wird die Personaldienstleistungsbranche in den nächsten Jahren wachsen. Alle Unternehmen mit dem ‚Sklaventreiber-Glaubenssatz‘ müssen beraten werden. Die Vorteile der Arbeitnehmerüberlassung und die Tatsache, dass Zeitarbeitnehmer in der Regel freiwillig über Zeitarbeit in Anstellung gehen, müssen herausgearbeitet werden. Wir müssen deutlich kommunizieren, dass Zeitarbeitnehmer für sich die Vorteile der Personaldienstleistung erkannt haben: Sie nutzen die Chance des guten Verdienstes, die schnelle Vermittlung und die Möglichkeit, mehrere Unternehmen in verschiedenen Branchen kennenzulernen.

Fazit

Leider gibt es auch heute noch unterschiedliche Vorurteile gegen unsere Branche. Überlege Dir vor dem Gespräch mit Kunden oder Bewerbern daher, wie Du im Fall der Fälle auf sie reagieren kannst. Wenn Du argumentativ vorbereitet bist, kannst Du die Vorurteile gar nutzen, um Bewerber und Unternehmen für Dich zu gewinnen. Letztlich sind Vorurteile nämlich nichts anderes als Ängste der Bewerber oder Unternehmen. Dein Job ist es, diesen Ängsten zu begegnen und sie aufzulösen.


Dieser Beitrag ist in leicht abgeänderter Form in Alexander Jägers Buch „Zeitarbeit für Anfänger und Fortgeschrittene. Praxistipps zur Kunden- und Mitarbeitergewinnung“ erschienen.


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