3 Fragen an Martin Klingen: Es lohnt sich, über den Tellerrand zu blicken!
- Für Martin Klingen, (Chief Corporate Affairs Officer Germany & Nordics und) Mitglied der Geschäftsführung bei der Gi Group Holding und Vorstandsmitglied beim GVP, sind Weiterbildungen ein entscheidender Hebel in der Personaldienstleistung.
- Einerseits lohnen sich Weiterbildungen bei der Integration von Fachkräften aus dem Ausland – andererseits im Vertrieb, der in der aktuellen Wirtschaftslage immer wichtiger wird.
- Der Personalprofi erklärt anhand eines internationalen Beispiels, wie eine zukunftsweisende Tarifpolitik aussehen könnte. Zudem fasst er am Beispiel des Standorts NRW die aktuellen Herausforderungen der gesamten Zeitarbeitsbranche zusammen.
arbeitsblog: Hallo Herr Klingen, im Verbandsbereich Personalentwicklung beschäftigen Sie sich intensiv mit den Themen Weiterbildung und Qualifizierung. Welche Kompetenzen sind in der Branche künftig besonders gefragt – und wie können Personaldienstleister ihre Mitarbeitenden gezielt darauf vorbereiten?
Martin Klingen: Wir unterscheiden stets zwischen interner Weiterbildung – also von Stammbeschäftigten – und externer Weiterbildung, die Zeitarbeitskräfte betrifft. Vor allem letztere wird sich in den kommenden Jahren als wichtiges Geschäftsfeld der Personaldienstleistung etablieren. Denn die Industrie befindet sich im Wandel. Der Bedarf an Fachkräften übersteigt überall zunehmend den an Arbeitskräften. Heißt, Zeitarbeitskräfte müssen sich weiterentwickeln können. Vor allem, weil wir durch den demografischen Wandel immer weniger inländische Fachkräfte mit deutschen Qualifizierungen haben. Personaldienstleister sind hier prädestiniert, Fach- und Arbeitskräfte aus dem Ausland nach Deutschland zu holen, zu integrieren und weiterzubilden. Das stellt aber auch neue Anforderungen an die Kompetenzen der Stammbeschäftigen, gerade im Hinblick auf Arbeitskultur und Sprache. Eine weitere Fertigkeit, die wieder massiv an Bedeutung gewonnen hat, ist der Vertrieb. Es geht nicht mehr nur darum, für Unternehmen die richtigen Mitarbeitenden zu finden, sondern auch darum, für die Mitarbeitenden die passende Stelle zuzuweisen. Jenseits davon muss es natürlich auch vermehrt Schulungen zu den Themen Digitalisierung und KI geben, um dadurch die Effizienz im Unternehmen zu steigern.
Es geht nicht mehr nur darum, für Unternehmen die richtigen Mitarbeitenden zu finden, sondern auch darum, für die Mitarbeitenden die passende Stelle zuzuweisen.
arbeitsblog: Sie engagieren sich unter anderem in der Tarifkommission B des GVP. Inwiefern kann eine moderne Tarifpolitik zur Fachkräftesicherung beitragen – gerade in Zeiten, in denen sich die Erwartungen von Arbeitnehmer*innen stark verändern?
Martin Klingen: Tarifpolitisch sind wir in den vergangenen Jahren sicherlich in keine einfache Situation geraten. Gerade das Thema Mindestlohnerhöhung stimmt uns – auch mit Blick auf die neue Bundesregierung – skeptisch, weil wir die Tarifverträge in der Vergangenheit eigentlich immer in guter Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern gestalten konnten. Der Mindestlohn muss ebenso wie die Tariflöhne Maß und Mitte wahren, damit Arbeit in Deutschland und unsere Dienstleistung noch bezahlbar bleiben. Der springende Punkt ist meiner Meinung nach, sich bei den Tarifgesprächen nicht nur auf die Entgelthöhe zu fokussieren. Ein Blick auf andere Länder in Europa zeigt, wie kreative und innovative Tarifverträge aussehen können – Verträge, die nicht nur Zukunftssicherheit für unsere Branche schaffen, sondern auch für die Arbeitskräfte. Nehmen wir als Beispiel Italien: Dort fließen vier Prozent des Bruttolohns einer Zeitarbeitskraft in Trainingsfonds ein, die dann wiederum für Weiterbildungen und -qualifizierungen genutzt werden können. Natürlich gibt es zwischen den Arbeitsmärkten große Unterschiede, sodass die Konzepte sich nicht einfach übertragen lassen. Ich bin aber davon überzeugt, dass wir durch den Blick über den Tellerrand Impulse für innovative und zukunftssichere Sozialpartnerschaften finden.
arbeitsblog: Als Landesbeauftragter für Nordrhein-Westfalen kennen Sie die Entwicklungen in der Region sehr genau. Welche Herausforderungen nehmen Sie dort aktuell für die Personaldienstleistung wahr – und was brauchen Unternehmen, um diesen zu begegnen?
Martin Klingen: NRW hat mit ähnlichen Herausforderungen wie die gesamte Bundesrepublik zu kämpfen. Allerdings treffen die Deindustrialisierung und die Dekarbonisierung unsere Region besonders stark. Natürlich entstehen aus diesem Ausstieg auch immer wieder neue Technologien und Wirtschaftszweige, für die wir als Personaldienstleister Fachkräfte sicherstellen können – doch dafür benötigen wir wie in allen anderen Bundesländern eine qualifizierte Zuwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt. Leider sind wir durch Paragraf 40 Aufenthaltsgesetz immer noch davon ausgeschlossen. Ich hoffe sehr, dass sich dies in der nächsten Legislaturperiode ändert. Gerade NRW hat seit vielen Jahrzehnten viel Erfahrung mit qualifizierter Zuwanderung – angefangen bei den Gastarbeiter*innen bis hin zur Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten. Das hat bereits in der Vergangenheit gut funktioniert, und wir haben aus den Herausforderungen alle etwas gelernt. Gerade wir Personaldienstleister stehen für Kompetenz in der Integration von Fach- und Arbeitskräften.