4 Fragen an Dr. Carl Naughton: Mitarbeitende in Zeiten des Wandels begeistern
- Künstliche Intelligenz, Digitalisierung, neue Denkweisen – sie alle bringen die Arbeitswelt in Fahrt.
- Viele Arbeitnehmer*innen, aber auch Unternehmen, sind von den zahlreichen Veränderungen überfordert. Es entstehen psychologische Hürden, Ängste oder gar Ablehnungen gegenüber dem, was die Zukunft bringen könnte.
- Dr. Carl Naughton, Wirtschaftspsychologe und Neugierforscher, erklärt, welches Mindset Unternehmen brauchen, um diese Hürden zu überwinden und zeigt anhand psychologischer Prinzipien wertvolle Impulse für den Berufsalltag auf.
arbeitsblog: Herr Dr. Naughton, wie kann die Fähigkeit, mit Unsicherheiten, Wandel und Komplexität umzugehen, als Erfolgsfaktor in der Personaldienstleistung genutzt werden – sowohl bei Mitarbeitenden als auch bei Bewerber*innen?
Dr. Carl Naughton: Diese sogenannte Anpassungsfähigkeit, die in der Forschung als Teilbereich der Intelligenz betrachtet wird, hat mehrere Dimensionen.
Eine davon ist das situative Gespür. Wer diese Fähigkeit besitzt, ist in der Lage, Veränderungen am Rande wahrzunehmen. Die meisten Veränderungen geschehen in den eigenen Kernbereichen und erfordern in der Regel eine schnelle Reaktion. Doch häufig passiert sehr viel nebenbei, wo der Impact nicht abzusehen ist. Um dieses Geschehen richtig einzuordnen, müssen wir nicht analysieren, sondern defokussieren. Denn, wenn Menschen defokussieren, also innerlich lockerlassen, können sie Nebensächlichkeiten viel besser wahrnehmen.
Dass sich das lohnt, zeigt das Beispiel Ikea: Der Möbelkonzern baut überall auf der Welt Filialen – durch situatives Gespür stellte das Unternehmen dabei fest, dass der Wert umliegender Immobilien nach dem Bau signifikant anstieg. Also begann man – nach umfassenden Analysen – damit, Shopping-Malls in unmittelbarer Nähe zu bauen. Für Ikea ein voller Erfolg: In manchen Teilen der Welt machen sie damit mittlerweile profitablen Umsatz.
Für Personaldienstleister bedeutet das: Wenn Sie erkennen, welchen Wert bestimmte Situationen abseits des Kerngeschäfts haben, kann daraus ein Wettbewerbsvorteil entstehen. Das gelingt nicht durch scharfe Analyse, sondern, wenn Sie Ihren Gedanken freien Lauf lassen. Das Gehirn hat dadurch erst die Chance, solche ungewöhnlichen Assoziationen, Ideen und Chancen zu bilden.
Wenn Sie erkennen, welchen Wert bestimmte Situationen abseits des Kerngeschäfts haben, kann daraus ein Wettbewerbsvorteil entstehen.
Was bedeutet das im Kontext der Digitalisierung? Schließlich können Mitarbeitende nicht von heute auf morgen aufhören zu arbeiten, um nur noch zu denken. KI kann hier eine große Hilfe sein: die Technologie analysiert soziale Medien, Märkte und Trends und liefert neue Lösungsansätze. Diese können die Basis für neue Strategie bilden. Heißt, KI kann das situative Gespür anwenden, um gemeinsam mit dem Menschen neue Wege zu gehen.
Eine weitere Dimension der Anpassungsfähigkeit ist das von uns im Forschungsinstitut benannte Neo Credos, auch Change Management genannt. Dieses besagt: „Wenn sich das Was ändert, müssen wir auch das Wie ändern“. Das Wie ist in diesem Fall unser Denken. Aktuell ändert sich sehr viel aufgrund der Errungenschaften durch Künstliche Intelligenz. Dabei entstehen berechtigte Sorgen wie die Angst, eines Tages im Beruf ersetzt zu werden.
Was es jetzt braucht, ist das sogenannte Janus-Denken, benannt nach dem römischen Gott mit zwei Gesichtern. Das eine blickt nach vorn und analysiert die Trends, die in unserem Fall durch KI entstehen und verfolgt Menschen, die die Technologie feiern und in verschiedensten Unternehmensbereichen anwenden. Das andere Gesicht blickt nach hinten und beobachtet erste Gegentrends. Es beobachtet KI-Gegner, die alles ablehnen, was mit der Digitalisierung zu tun hat. Beide Seiten haben ihre Daseinsberechtigung, doch weder die eine noch die andere werden allein die Zukunft bestimmen. Erst, wenn wir beide Seiten betrachten, können wir im Unternehmensalltag davon profitieren.
arbeitsblog: Wie können Personaldienstleister Ihre bestehenden Denkmodelle an die Anforderungen der Zukunft anpassen?
Das verdeutlicht ein Beispiel aus der Praxis: Microsoft war früher der Ansicht, dass seine Software ausschließlich auf Microsoft-Produkten laufen sollte. Heute verfolgt der Konzern einen kontenorientierten und nicht mehr produktbasierten Ansatz. Wie es dazu kam, lässt sich mit einem einfachen Modell erklären. Fünf Fragen, mit denen Unternehmen bestehende Strategien hinterfragen können, insbesondere dann, wenn die Zukunft ungewiss ist:
- Warum glauben Sie, dass der Ansatz in Zukunft funktionieren wird?
- Gilt und funktioniert der Ansatz in jedem Kontext?
- Gibt es Belege, die gegen den Ansatz sprechen?
- Gibt es andere Sichtweisen auf den Ansatz?
- Würden Sie den Ansatz weiterhin verfolgen, wenn jemand anders genauso agiert?
Auf diese Weise konnte auch Microsoft seinen starren Denkansatz aufbrechen und das Unternehmen binnen weniger Jahre revitalisieren. So ähnlich können auch Sie als Personaldienstleister handeln. Stellen Sie Ihre Unternehmenswerte und Ziele für die Zukunft auf den Prüfstand und analysieren Sie, wie Sie vor den fünf Fragen über Ihre Strategie gedacht haben und wie danach.
arbeitsblog: Welche psychologischen Hürden halten Unternehmen davon ab, Innovationen schneller umzusetzen?
Dr. Carl Naughton: Für diese Ängste gibt es tatsächlich Bezeichnungen: Die Ideophobie oder Neophobie. Viele Personaldienstleister stehen bei Innovationen aktuell mit einem Fuß auf dem Gaspedal, doch mit dem anderen auf der Bremse. Das hat einen simplen Grund: Veränderung stellt immer unser eigenes Können infrage und niemand mag das Gefühl, nicht zu wissen, was passiert.
Viele Personaldienstleister stehen bei Innovationen aktuell mit einem Fuß auf dem Gaspedal, doch mit dem anderen auf der Bremse. Das hat einen simplen Grund: Veränderung stellt immer unser eigenes Können infrage und niemand mag das Gefühl, nicht zu wissen, was passiert.
Unternehmen müssen allerdings akzeptieren, dass es bei Innovationen immer eine Lernkurve gibt – das ist völlig natürlich. Eine hilfreiche Denkweise ist es, das Vertraute im Neuen zu suchen, also die „Knowing-Doing-Gap“ zu schließen.
Mein Tipp für die Kommunikation mit Mitarbeitenden: Erklären Sie bei einer Innovation zuerst, was alles gleichbleibt. Ihre Kolleg*innen fragen sich dann nämlich, was sich überhaupt verändert. Und wenn sie sich diese Frage stellen, sind sie unterbewusst offener und empfänglicher für Neues – so trivial wie das auch klingen mag. Um darauf aufzubauen, empfehle ich Unternehmen und Teams, sich mit drei Fragen auseinanderzusetzen und diese auf einer Skala von 1 bis 10 zu bewerten:
- Sind wir bereit?
- Ist es uns wichtig?
- Sind wir uns sicher?
Diese Reflexion hilft dabei, vorausschauend zu handeln. Schließlich kann es sein, dass die Mitarbeitenden bereit sind, aber kaum Vertrauen in den Erfolg der Veränderung haben. Dann ist zwar viel Kompetenz vorhanden, dafür aber kein Ergebnis in Sicht.
arbeitsblog: Wie kann man Menschen für Veränderungen begeistern, wenn sie im Berufsalltag eher mit Unsicherheit kämpfen?
Dr. Carl Naughton: Darüber könnte man natürlich ein ganzes Buch schreiben. Im Grunde muss zwischen Unsicherheit und Ungewissheit unterschieden werden. Unsicherheit ist, wenn man keinen blassen Schimmer hat, was passieren kann. Ein Beispiel: Eine Person entscheidet sich, nach Papa-Neuguinea zu reisen, hat allerdings absolut keine Ahnung wie.
Was wir im Berufsalltag viel häufiger erleben, ist das Gefühl von Ungewissheit. Szenarien mit KI-Lösungen in der Arbeit oder der Einsatz digitaler Tools sind alle bekannt – nur ist oft ungewiss, welche Rolle sie spielen werden. Heißt: Unternehmen sollten ihren Mitarbeitenden erstmal klarmachen, dass sie nicht mit Unsicherheit, sondern mit Ungewissheit zu kämpfen haben.
Dann geht es in die zweite Phase über: Menschen sind am ehesten bereit, sich auf etwas Neues einzulassen, wenn sie einen inneren Kompass haben. Leider haben diesen viele Arbeitnehmer*innen heutzutage verloren. Unternehmen müssen an dieser Stelle unterstützen und den persönlichen Antrieb ihrer Mitarbeitenden finden.
Ich erinnere mich an ein Projekt mit einem Pharmakonzern, der kurz vor dem Ende seines Patentschutzes stand. Im Team breitete sich Ungewissheit aus, wie es in Zukunft weitergehen soll. Also analysierten wir tiefgehend die intrinsischen Motivatoren – also die Gründe,, warum die Mitarbeitenden überhaupt ihren Beruf gewählt haben. Das hat dann eine so starke Motivation erzeugt, dass das Unternehmen noch vor Ablauf des Patentschutzes seinen Umsatz um ein Vielfaches erhöhen konnte. Und zwar nur deshalb, weil alle im Team wieder wussten, wofür sie eigentlich arbeiten.
arbeitsblog: Vielen Dank für das Gespräch!