Aufstieg statt Abwehr: Warum 2025 für die Zeitarbeit ein Wendepunkt war
- 2025 war für die Personaldienstleistung ein Jahr der Prüfung, aber auch ein Jahr, in dem die Branche gezeigt hat, wie flexibel, stabilisierend und gestaltend sie sein kann.
- Wir haben einen Blick auf die fünf meistgelesenen arbeitsblog-Artikel des Jahres geworfen. Dabei zeigt sich: Tarifpolitik, Rahmenbedingungen, Vertrieb, Preisanpassungen und Zukunftssicherheit sind die Themen, die die Personaldienstleistung maßgeblich prägen.
- Fundierte Finanzexpertise trifft auf redaktionellen „Branchenradar“: Im Gespräch ordnen Wolfgang Roell und Kristina Pauncheva ein, welche Entwicklungen bestehen bleiben und welche im Jahr 2026 zum Wendepunkt werden könnten.
2025 war für die Personaldienstleistung ein intensives Jahr. Tarifverhandlungen, politische Diskussionen, KI-Debatten, wirtschaftlicher Druck und steigende Erwartungen aufseiten von Kund*innen sowie Kandidat*innen bewegten die Branche. Gleichzeitig zeigen die fünf erfolgreichsten Beiträge des arbeitsblogs, was für die Branchevertreter*innen wirklich zählt: Stabilität, Orientierung und praktische Wege, auch in unsicheren Zeiten wirksam zu bleiben. Zum Jahresabschluss lassen Wolfgang Roell, Leiter Marketing und Vertrieb bei EKF Finanz Frankfurt, und Kristina Pauncheva, Redaktionsleitung des arbeitsblogs, die vergangenen Monate Revue passieren und blicken anschließend nach vorn.
Kristina Pauncheva: Herr Roell, 2025 war für viele Unternehmen ein intensives Jahr. Tarifrunden, politische Diskussionen, wirtschaftlicher Druck, gleichzeitig steigende Erwartungen von Kundinnen und Kandidatinnen. Wenn Sie auf die Branche blicken, was war für Sie das prägendste Thema?
Wolfgang Roell: Da kommt mir vor allem eines in den Sinn: der Realitätscheck, dem sich viele unterziehen mussten. 2025 hat schonungslos offengelegt, wie gut die Geschäftsmodelle der Personaldienstleister wirklich aufgestellt sind. Wer in den vergangenen Jahren nur „mitgelaufen“ ist, hatte diesmal Probleme. Und im Gegensatz konnten diejenigen, die ihre Prozesse, ihren Vertrieb und die Preisstrukturen aktiv gesteuert haben, stabil bleiben. Damit zeigt sich einmal mehr: Die Branche braucht klare Strukturen und professionelle Prozesse, um dem Druck standzuhalten.
Kristina Pauncheva: Das sehe ich genauso. Wenn wir einen Blick auf die meistgelesenen Artikel des arbeitsblogs in diesem Jahr werfen, zeigt sich ganz klar: Unternehmen wollen wissen, wie sie Preiserhöhungen sauber kommunizieren, wie KI im Vertrieb wirklich hilft oder wie sie mit Tarifsteigerungen umgehen können. Es geht nicht mehr darum, „irgendwie durchzukommen“, sondern vielmehr darum, das Geschäft weiterzuentwickeln.
Wolfgang Roell: Genau – und das ist aus meiner Sicht der eigentliche Aufbruch. Viele hatten zum ersten Mal seit Jahren den Mut, unangenehme Dinge aktiv anzugehen: Preise anpassen, Prozesse verschlanken, Verantwortung in Führung und Vertrieb klarer definieren. Das ist nichts, womit man Schlagzeilen gewinnt. Aber – und das müssen sich die Unternehmer*innen in der Personaldienstleistung meiner Ansicht nach immer wieder vor Augen führen – damit gewinnt man Zukunftsfähigkeit.
Kristina Pauncheva: Gleichzeitig hatte man 2025 oft das Gefühl, dass die Branche permanent im Rechtfertigungsmodus war. Viele Leser*innen beschäftigt das politische Klima und die öffentliche Wahrnehmung der Branche.
Wolfgang Roell: Das ist definitiv ein Thema, das nach wie vor viele beschäftigt. Aber ich habe 2025 auch gesehen, dass sich das Selbstbild verändert hat. Viele Unternehmen hatten irgendwann genug davon, sich kleinreden zu lassen. Sie haben angefangen, ihren Beitrag sichtbar zu machen, ob zur Integration, zur Fachkräftesicherung oder zur Stabilisierung ganzer Branchen. Das ist aus meiner Sicht der richtige Weg. Wenn die Branche ihn weiter geht, wird aus der Verteidigung eine Positionierung.
Unternehmen, die KI einsetzen, ohne den persönlichen Dialog zu stärken, haben am Ende nur mehr Daten, aber nicht mehr Geschäft.
Kristina Pauncheva: Und das ist auch enorm wichtig. Denn wenn man permanent angegriffen wird, vergisst man leicht, was man eigentlich leistet. Hier kann es helfen, sich immer wieder ein paar Fragen zu stellen, etwa: Was machen wir als Branche möglich? Wie stützen wir den Arbeitsmarkt? Welche Probleme lösen wir für unsere Kund*innen? Wer diese Fragen für sich klar beantwortet, kann sich letztendlich besser positionieren.
Kommen wir zu einem anderen Thema, das in meinen Augen dieses Jahr ein Dauerbrenner war: Künstliche Intelligenz. Wir haben einige Artikel dazu veröffentlicht – und dabei stand immer eine Frage im Fokus: Werden das Recruiting und der Vertrieb jetzt komplett automatisiert? Werden dadurch Jobs gestrichen und Menschen überflüssig?
Wolfgang Roell: Ich glaube, 2025 hat gezeigt, dass es bei KI weder um Euphorie noch um Angst gehen sollte, sondern vielmehr um Professionalität. KI ist im Vertrieb und im Recruiting ein enormer Hebel – allerdings nur, wenn auch die nötigen, grundlegenden Strukturen vorhanden sind, in denen sie wirken kann. Viele Unternehmen haben anfangs gehofft, KI könne bei ihnen den Vertrieb und das Recruiting „übernehmen“. Doch das ist eine völlige Fehlinterpretation. Die Technologie nimmt uns Arbeit ab, aber sie übernimmt keine Verantwortung.
Kristina Pauncheva: Richtig, das hat sich in vielen Gesprächen herauskristallisiert, die ich dieses Jahr geführt habe. Die KI kann zum Beispiel Lebensläufe analysieren, Matching-Wahrscheinlichkeiten berechnen oder Jobvorschläge personalisieren. Aber sie kann keine Motivation erkennen, keine Lernbereitschaft, keine Teamdynamik. Sie weiß nicht, dass jemand einen Staplerschein hat, aber in der Realität fast nie gefahren ist. Diese Einschätzungen kommen aus Gesprächen und beruhen auf guter Menschenkenntnis.
Wolfgang Roell: Eben. Ähnliches gilt auch im Vertrieb. Hier kann die Künstliche Intelligenz die relevanten Zielgruppen identifizieren und ihre Bedarfe analysieren. Sie kann auch den Profilversand personalisieren. Das spart natürlich Zeit und erhöht die Reichweite. Aber das eigentliche Gespräch, in dem sich Vertrauen aufbaut und Lösungen für bestimmte Probleme der Kund*innen aufgezeigt werden – das entsteht nur im persönlichen Austausch zwischen Menschen. Unternehmen, die KI einsetzen, ohne den persönlichen Dialog zu stärken, haben am Ende nur mehr Daten, aber nicht mehr Geschäft.
Kristina Pauncheva: Apropos Geschäft. 2025 hat das Thema Preiserhöhungen viele Personaldienstleister beschäftigt. Traditionell ist dieses nicht unbedingt positiv besetzt, denn für viele ist das Durchsetzen von Preisanpassungen mit der Gefahr verbunden, Kund*innen zu verlieren. Wie sehen Sie das aus Ihrer Erfahrung heraus, wie können Personaldienstleister selbstbewusst in Verhandlungen gehen?
Wolfgang Roell: Wichtig ist vor allem eines: Sie sollten immer ehrlich kommunizieren. „Wir passen unsere Preise an, damit wir weiterhin die gewohnt qualitativ hochwertige Dienstleistung liefern können“ ist eine stärkere Botschaft als „Wir erhöhen unsere Preise, weil alles teurer wird.“ Schließlich wollen auch die Kundenunternehmen Planbarkeit, Qualität und Zuverlässigkeit – und nicht unbedingt Discount um jeden Preis. Wer den geleisteten Mehrwert sichtbar macht, darf auch über Geld sprechen.
2026 wird nicht das Jahr der „Glücksgriffe“, sondern das Jahr der strategisch gut aufgestellten Dienstleister.
Kristina Pauncheva: Ich glaube, ein wesentlicher Punkt war 2025 die innere Hürde, nicht die äußere. Viele Personaldienstleister wussten fachlich längst, dass Preisanpassungen unvermeidbar sind, hatten aber das Gefühl, ihre Kundenbeziehungen damit zu gefährden. Dieses Zögern ist sehr menschlich: Niemand führt gern Gespräche, in denen es um Geld und Grenzen geht.
Und genau deshalb wird 2026 meiner Meinung nach nicht automatisch einfacher. Die wirtschaftliche Lage entspannt sich nicht von heute auf morgen und es wird erneut Situationen geben, in denen Entscheidungen getroffen werden müssen, bevor man sich wirklich bereit dafür fühlt. Mit anderen Worten: Die Preisgespräche werden nicht verschwinden, aber sie werden ihren Charakter verändern. Sie werden weniger „Krisenkommunikation“ und mehr „strategische Abstimmung“ – wie sehen Sie das?
Wolfgang Roell: 2026 wird anspruchsvoll, aber nicht negativ. Ich teile die weitverbreitete Hoffnung auf Aufschwung – aber ich sehe auch, dass man dafür vorbereitet sein muss. Viele Unternehmen haben 2025 genutzt, um ihre Prozesse, Strukturen und Preisstrategien zu stabilisieren. Damit werden sie 2026 im Vorteil sein, weil sie bei steigender Nachfrage liefern können, ohne erst intern aufräumen zu müssen.
Ein Punkt wird dabei ganz entscheidend: Liquidität. Wachstum kostet erst einmal Geld, bevor es Geld bringt – sei es für Rekrutierung, Löhne, Projektanläufe oder Niederlassungsausbau. Wenn die Nachfrage steigt, aber die finanzielle Basis fehlt, wird aus einer Chance sehr schnell ein Risiko. 2026 wird aus meiner Sicht nicht nur die fachliche Kompetenz, sondern vor allem auch die durchdachte finanzielle Vorbereitung belohnen. Unternehmen, die wissen, wann sie investieren können und wann sie bremsen müssen, werden sicherer durch das Jahr gehen als diejenigen, die nur auf Umsatz schielen. Für mich ist deshalb klar: 2026 wird nicht das Jahr der „Glücksgriffe“, sondern das Jahr der strategisch gut aufgestellten Dienstleister.
Kristina Pauncheva: Dem schließe ich mich an. Vielen Dank für das Gespräch – und auf ein 2026, das anspruchsvoll, aber richtungsweisend wird.