„Der Schlüssel sind eine intensivere Kommunikation und schnellere Entscheidungsprozesse.“
- Die 360-Grad-Studie „Barometer Personalvermittlung“ des GVP erscheint in diesem Jahr bereits zum fünften Mal. In den vergangenen Jahren wurde die Publikation vom Vorgängerverband, dem BAP, veröffentlicht.
- Für die aktuelle Ausgabe hat der GVP 1.101 Kandidat*innen, 447 Unternehmen und 408 Personalvermittler*innen befragt.
- Die Studie beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den aktuellen Herausforderungen für die Branche auseinander. Heinz Ostermann, Vorsitzender des Verbandsbereichs Personalvermittlung (VBPV) des GVP, ordnet die Ergebnisse ein und spricht im arbeitsblog-Interview über Hürden, Chancen und Zukunftsstrategien.
arbeitsblog: Herr Ostermann, die diesjährige Studie beleuchtet die aktuelle krisenhafte wirtschaftliche Lage. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen für Personalvermittler in der aktuellen Situation?
Heinz Ostermann: Die Ergebnisse zeigen, vor welchen großen Aufgaben die Personalvermittler*innen, aber auch die Wirtschaft insgesamt stehen, und wie sich die allgemeine wirtschaftliche Lage auf die Kandidat*innen auswirkt. Laut der Befragung spüren etwa 66 Prozent der Personalvermittlungsunternehmen die Auswirkungen der schwächeren Konjunktur. Trotz der wirtschaftlichen Krise in Deutschland herrscht allerdings weiterhin ein Fachkräftemangel: So sehen rund 47 Prozent der Kundenunternehmen sogar einen weiteren Anstieg der Nachfrage nach Fachkräften. Und kandidatenseitig? Rund 74 Prozent der Kandidat*innen sind offen für einen neuen Job. Damit bleibt die Wechselbereitschaft auf einem hohen Niveau.
arbeitsblog: Welche strategischen Maßnahmen sollten Personalvermittler jetzt ergreifen, um in Zukunft widerstandsfähiger zu sein?
Heinz Ostermann: Unsere 360-Grad-Studie „Barometer Personalvermittlung“ gibt wichtige Handlungsempfehlungen für Unternehmen der Personalvermittlung und Personaldienstleistung. Um die Weichen jetzt richtig zu stellen, sollten sie an einigen Stellschrauben drehen. Neben persönlichen Faktoren wie Innovationsfreude und Anpassungsfähigkeit sehe ich besonders im Fokus, das eigene Portfolio breiter aufzustellen – zum Beispiel durch einen Ausbau an Beratungsleistungen oder internationale Fachkräfterekrutierung im Ausland, mehr Exklusivität durch Exklusivverträge sowie mehr Aufmerksamkeit in Active Sourcing und Active Placement zu investieren. Gerade Letzteres ist ein wichtiges Branchenthema, deswegen war es auch das Fokusthema der letztjährigen Studienausgabe.
arbeitsblog: Ein zentrales Thema in der Studie sind neue Recruiting-Trends. Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Trends, die sich derzeit abzeichnen?
Heinz Ostermann: Moderne Technologien, effiziente Systeme zur Datenanalyse sowie schnelle Reaktionsprozesse bei der Kommunikation mit den Kandidat*innen sind für mich die zentralen Bestandteile für ein modernes Recruiting. Die Kandidat*innen sind erfreulicherweise wechselwillig und die Plattformen, über die man sie findet, existieren. Hier geht es um Schnelligkeit, aber auch um Gewissenhaftigkeit. Am Ende zählt das perfekte Match, bei dem Bewerber*in und Unternehmen zusammenfinden. Hier geht es nicht um das schnelle Ergebnis, sondern um den passenden Treffer, damit die Kandidat*innen und Unternehmen zueinander passen und im Idealfall eine möglichst langjährige Verbindung eingehen können. Denn das wiederum senkt die Rekrutierungskosten für die Unternehmen, die mittlerweile immer kostenbewusster agieren. Deshalb wäre es auch ratsam, über Exklusivverträge mit den Unternehmen nachzudenken.
Eine verstärkte aktive Platzierung sowie eine noch intensivere Suche nach Kandidat*innen über Active Sourcing oder im Ausland werden eine große Rolle spielen. Wer sich hier nicht bewegt, könnte Chancen verpassen.
arbeitsblog: Das Phänomen des „Ghostings“ wurde ebenfalls thematisiert. Welche Ursachen sehen Sie für dieses Verhalten seitens der Bewerber und wie sollten Personalvermittler darauf reagieren?
Heinz Ostermann: Die Zauberwörter sind in dem Fall Schnelligkeit und Verbindlichkeit in den Aussagen sowie eine größtmögliche Transparenz und Moderation des Placements – sowohl in Richtung Kundenunternehmen als auch in Richtung Kandidat*innen. Denn etwa 27 Prozent der Kandidat*innen haben schon einmal einen Bewerbungsprozess ohne Rückmeldung abgebrochen. Als Hauptgründe nennen die Kandidat*innen, dass sie ein besseres Angebot erhalten haben oder die Erwartungen an den Job und die Rahmenbedingungen nicht übereingestimmt haben. Aber auch verfehlte Kommunikation zählt zu den Hauptgründen beim „Ghosting“. Durch unverbindlichere Kommunikationswege sehen sich Kandidat*innen immer weniger gezwungen zu antworten – oder sie bewegen sich in einem Bereich mit hohem Fachkräftemangel und können sich den Job aussuchen. Wie reagiert man als Personalvermittler*in am besten darauf? Der Schlüssel sind eine intensivere Kommunikation und schnellere Entscheidungsprozesse mit den Unternehmen.
arbeitsblog: Der Verbandsbereich Personalvermittlung hat sich im August erfolgreich in Berlin gegründet. Welche zentralen Aufgaben und Ziele verfolgt der VBPV?
Heinz Ostermann: Aufgabe des VBPV ist es, das Geschäftsfeld Personalvermittlung mit allen dazugehörigen Instrumenten der Rekrutierung und Vermittlung intern wie extern voranzutreiben, Wissen darüber zu vermitteln und somit in den kontinuierlichen Austausch mit Politik, Verbänden sowie den relevanten Institutionen und insgesamt mit der Gesellschaft zu gelangen. Ein wichtiges und zentrales Thema wird künftig die Erstellung von Qualitätskriterien sein, die als Gütesiegel dienen.
arbeitsblog: Wie wird sich der VBPV in die Arbeit des Gesamtverbandes GVP einbringen und welchen Mehrwert kann die Branche aus dieser neuen Struktur erwarten?
Heinz Ostermann: Die Branche wird von einer starken Vertretung innerhalb wie außerhalb des Verbandes profitieren, die alle Vorteile einer großen Organisation mit sich bringt. Netzwerktreffen und Highlight-Veranstaltungen wie die „Thementage Personalvermittlung & Recruiting“ (TTPR) nützen der Wissensvermittlung, um up-to-date zu bleiben. Last but not least dienen solche Veranstaltungen auch dem Austausch und Netzwerken.
Die Branche bleibt weiterhin in Bewegung und wird sich auch gerade in herausfordernden Zeiten als der Problemlöser der deutschen Wirtschaft bewähren.
arbeitsblog: In der letzten Studie (noch vom Vorgängerverband BAP herausgegeben) stand „Active Placement“ im Fokus. Hat sich in der Branche seitdem eine Verschiebung in der Nutzung dieses Ansatzes ergeben?
Heinz Ostermann: Auf geänderte Marktbedingungen reagieren die Personalvermittler laut unserer Befragung mit einer Anpassung der Platzierungs- und Rekrutierungsstrategie, indem sie verstärkt auf Active Sourcing setzen und noch mehr in die Neukundegewinnung sowie die Digitalisierung der Bewerbungsprozesse einsteigen. Mit 36 Prozent folgt auf Platz vier die verstärkte aktive Platzierung von Kandidat*innen. Hier besteht also noch großer Handlungsbedarf.
arbeitsblog: Glauben Sie, dass klassische Vermittlungsansätze in der Personalbranche langfristig von neueren Methoden wie Active Sourcing und Active Placement abgelöst werden, oder wird es zu einer Synthese kommen?
Heinz Ostermann: Ich halte eine Synthese der verschiedenen Ansätze für wahrscheinlich – mit Aussicht auf eine Verstärkung von Active Placement und Active Sourcing. Es könnte künftig außerdem noch zu einem Ausbau von Exklusivverträgen kommen, hier sehe ich noch große Potenziale.
arbeitsblog: Welche konkreten Empfehlungen geben Sie Personalvermittlern, um in der aktuellen Marktlage erfolgreich zu agieren?
Heinz Ostermann: Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine verstärkte aktive Platzierung sowie eine noch intensivere Suche nach Kandidat*innen über Active Sourcing oder im Ausland eine große Rolle spielen wird. Wer sich hier nicht bewegt, könnte Chancen verpassen. Als weiteren wichtigen Punkt sollte noch der Ausbau der Unterstützungsangebote genannt werden. Hier tun sich neue Geschäftsfelder auf, die in Richtung eines Komplettpakets seitens der Personalvermittlungsunternehmen abzielen. Die Branche bleibt weiterhin in Bewegung und wird sich auch gerade in herausfordernden Zeiten als der Problemlöser der deutschen Wirtschaft bewähren.
arbeitsblog: Welche Rolle spielt Digitalisierung in der Personalvermittlung aktuell, und welche Technologien sollten Personalvermittler Ihrer Meinung nach verstärkt nutzen, um wettbewerbsfähig zu bleiben?
Heinz Ostermann: Digitalisierung, sprich künstliche Intelligenz (KI) , trägt zu einem schnellen Wandel in der Branche bei. Wer hier den Zug verpasst, könnte schnell aufs Abstellgleis geraten. Aber die Personalvermittler setzen bereits stark auf KI. Waren es im vergangenen Jahr noch knapp 38 Prozent, die KI im Recruitingprozess eingesetzt haben, so sind es in diesem Jahr bereits knapp 59 Prozent. Tendenz steigend. Deshalb spielen Anbieter von Softwarelösungen und Plattformen auch bei den diesjährigen „Thementagen Personalvermittlung & Recruiting“ (TTPR) mit ihren Angeboten eine große Rolle. Es ist entscheidend für den Erfolg der Personalvermittlungsunternehmen, bei digitalen Trends im Recruiting up-to-date zu sein. Dass die Veranstaltung ausverkauft ist, zeigt, dass der Gesamtverband der Personaldienstleister zusammen mit dem VBPV mit dem Programm über zwei Tage einen Nerv trifft und Impulse liefert, die künftig über Erfolg oder Misserfolg entscheiden.
arbeitsblog: Vielen Dank für das spannende Gespräch!