13.04.2018 Christopher Prohl

„Die Datenbanken von früher heißen heute Social Media.“

  • Innovationsberater Ralf Freudenthal beobachtet, dass die Digitalisierung auch die Personaldienstleistung verändert, aber nicht überflüssig macht.
  • Trotzdem laufen Personaldienstleister Gefahr, ihren USP zu verlieren. Viele Endkunden bauen aktuell ihr eigenes Active Sourcing auf.
  • Über Candidate-Centered-Designs lässt sich herausfinden, welchen Mehrwert Kandidaten von Zeitarbeitsunternehmen erwarten. Personaldienstleister, die das wissen, finden ein Alleinstellungsmerkmal.
  • Auch in puncto Digitalisierung gilt: Nicht alles, was möglich ist, bringt automatisch auch immer einen Nutzen. Unternehmen müssen Lösungen finden, die für sie passen – und für sich festlegen, in welcher Geschwindigkeit und welcher Dosis sie Digitalisierungsprozesse angehen.

Ralf Freudenthal blickt auf eine 15-jährige Erfahrung in der Personaldienstleistung zurück. Als Recruiter lernte er das Handwerk von der Pike auf, bevor er ins Management wechselte und bei Branchenschwergewichten wie DIS, Adecco und RED Commerce neue Geschäftseinheiten aufgebaut und transformiert hat. Heute geht er als Berater und Inhaber der Innovationsberatung futurebirds der Frage nach, wie sich die Arbeitswelt durch die Digitalisierung verändert. Genauer gesagt: Ralf Freudenthal hilft Unternehmen dabei, diese Veränderungen in Strategie und Umsetzung zu bringen, um langfristig die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Im Interview mit dem arbeitsblog geht er auf die Herausforderungen ein, die auf die Zeitarbeitsarbeitsbranche zukommen.

Herr Freudenthal, Sie beschäftigen sich mit der Digitalisierung und damit, wie sie unsere Arbeitswelt verändert. Können Sie kurz umreißen, warum der Wandel so mächtig ist?
Dafür müssen wir uns zunächst darüber verständigen, was die Digitalisierung eigentlich ist. Viele Menschen verbinden mit ihr oft nur digitale Produkte. Für mich ist die Digitalisierung weit mehr als das. Ganz gleich, ob Märkte, Unternehmen, Produkte oder Services: Heute ist so ziemlich alles digital. Entsprechend groß sind die Veränderungen, die damit einhergehen. Das verändert auf dynamische Weise die Art, wie wir Unternehmen seit vielen Jahren verstehen und betreiben.

Können Sie die Veränderungen konkret benennen?
Erstens ermöglicht die Digitalisierung eine bisher nicht gekannte Transparenz. Wir können Dienstleistungen oder Preise weltweit innerhalb von Sekunden miteinander vergleichen. Dadurch verändert sich zweitens das Auswahl- oder Kaufverhalten von Kunden. Drittens sind heute andere berufliche Qualifikationen gefragt als noch vor 30 oder 40 Jahren: Es findet eine Verschiebung vom Handwerk in Richtung der sogenannten Wissensarbeit statt. Und nicht zuletzt hat die Digitalisierung viertens Einfluss auf unser generelles Verständnis von Arbeit. Wir können heute praktisch von jedem Ort der Welt aus arbeiten. Dadurch gewinnt das Thema Work-Life-Balance an Bedeutung.

Personaldienstleister sollten sorgfältig prüfen, in welcher Geschwindigkeit und welcher Dosis sie Digitalisierungsprozesse angehen wollen. Nicht alles, was technisch möglich ist, bringt automatisch auch einen Mehrwert.

– Ralf Freudenthal über die Umsetzung der Digitalisierung

Die Digitalisierung brachte auch eine Reihe disruptiver Technologien hervor, die ganze Branchen verändert oder abgelöst haben. Droht der Personaldienstleistung ein ähnliches Schicksal?
Das Startup Talentwunder aus Berlin hat zum Beispiel eine Lösung entwickelt, mit der sich rund 750 soziale Plattformen nach geeigneten Kandidaten durchsuchen lassen. Dieses Tool ergänzt die Personaldienstleistung und verändert sie ein Stück weit, von Disruption würde ich aber nicht sprechen. Auch Google for Jobs ist definitiv eine starke Lösung, wird aber weder alle Marktbedürfnisse abdecken noch alle Zeitarbeitsunternehmen ablösen. Trotzdem müssen Personaldienstleister aufpassen, dass sie ihren USP nicht verlieren.

Inwiefern?
Vor zehn, fünfzehn Jahren lag das Know-how bei der Besetzung von Positionen im Markt eindeutig bei den Personaldienstleistern. Sie hatten umfangreiche Datenbanken und wussten, wie Recruiting funktioniert. Sie waren die anerkannten Spezialisten. Die Datenbanken von früher heißen heute Social Media – und stehen jedem zur Verfügung! Ich betreue eine Reihe von Endkunden, die sich aktuell ihr eigenes Active Sourcing aufbauen, ohne dabei auf einen Personaldienstleister zurückzugreifen.

Was können Personaldienstleister tun, um ihren USP zu behalten?
Die Branche und jedes darin aktive Unternehmen müssen sich die Frage stellen, was die Digitalisierung für sie bedeutet. Stellen sie dabei fest, dass sie ‚betroffen‘ sind und das Alleinstellungsmerkmal verloren geht, sollten sie sich professionell damit auseinandersetzen. Vor allem sollten sie überlegen, wie sie dem Kunden – und vor allem: dem Kandidaten – auch weiterhin einen Mehrwert bieten können. So eine Nutzer-bezogene Denkweise ist meiner Erfahrung nach oft augenöffnend. Darüber hinaus sollten Unternehmen sorgfältig prüfen, in welcher Geschwindigkeit und welcher Dosis sie Digitalisierungsprozesse angehen wollen. Denn: Nicht alles, was technisch möglich ist, bringt automatisch auch einen Mehrwert.

Sie wollen also nicht, dass möglichst alle Arbeitsprozesse digitalisiert werden?
Um Gottes willen, nein! Wie gesagt: Es gibt einen Unterschied zwischen dem, was technisch möglich ist – und dem, was tatsächlich gut ist. Standardisierte, administrative oder wiederkehrende Tätigkeiten lassen sich leicht digitalisieren. Auch bei abstrakten, hochkomplexen Vorgängen kann das Sinn machen. Denken Sie etwa im Recruiting an Matching-Prozesse bei Berufen aus der Wissensarbeit, die sich nicht mit Schlagworten wie „SAP“ oder „ABAP“ greifen lassen. „Multiprojektmanager für agiles Arbeiten“ zum Beispiel. Hier könnten intelligente Systeme eines Tages für uns Menschen mitdenken und den Job besser machen, als wir es bis dato getan haben. Etwa indem sie anhand zurückliegender Besetzungserfolge nach Gemeinsamkeiten zur aktuellen Stelle suchen und eine Logik entwickeln, die zum passenden Kandidaten führt. Aber alles Menschliche – sprich: Emotionen, Empathie und so weiter – können wir viel besser als Maschinen.

Wird sich das eines Tages ändern?
Schwer zu sagen. Es laufen bereits Versuche in die Richtung und ich denke schon, dass es erlernte Emotionen bei Maschinen bald geben wird. Aber Maschinen mit intuitiven, authentischen Emotionen? Wenn wir schauen, wie groß die technologischen Fortschritte der letzten Jahre waren, ist das eine durchaus spannende Frage.

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