14.12.2017 Edgar Schröder

Edgar Schröder: „Bei Equal Pay muss die Branche proaktiv Standards entwickeln“

  • Edgar Schröder, Geschäftsführer der ES Edgar Schröder Unternehmensberatungsgesellschaft für Zeitarbeit mbH, sieht bei der Umsetzung von Equal Pay viele Unklarheiten
  • Insbesondere bei der Berechnung von Fristen und des Vergleichsentgelts werden viele Sachverhalte uneinheitlich diskutiert
  • Lösungsvorschlag: Expertenrunde stimmt sich zu offenen Fragen ab und erarbeitet konkrete Handlungsempfehlungen für die Personaldienstleistungsbranche

Seit der Reformierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) vergeht kein Tag ohne Irritationen und Diskussionen über kreative Lösungsansätze – gerade, was die Umsetzung von Equal Pay angeht. Nehmen wir beispielsweise folgenden Fall zum Thema „Fristenberechnung zum Eintritt des gesetzlichen Equal-Pay-Anspruchs“ aus der Beratungspraxis:

Nach Ablauf von neun Monaten der ununterbrochenen Überlassung entsteht ab dem zehnten Einsatzmonat der Anspruch auf Gleichstellung im Arbeitsentgelt: Equal Pay. In Fachaufsätzen, Kommentaren und den Fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit (BA) ist die vorherrschende Meinung, dass diese Neun-Monats-Frist gemäß §§ 187 Abs. 2 Satz 1 und 188 Abs. 2 2. Alt. BGB, sprich: nach dem klassischen Fristenmonat, berechnet wird. Zeitarbeitnehmer hätten also ab dem 1. Januar 2018 erstmals Anspruch auf das gesetzliche Equal Pay.

Demgegenüber steht die Auffassung, dass der Monat pauschal mit 30 Tagen gemäß § 191 BGB zu bewerten ist. Die Personaldienstleister müssten dann bereits ab dem 27. Dezember 2017 Equal Pay für die betreffenden Zeitarbeitnehmer abrechnen, weil die 270 Tage (neun Monate a 30 Tage) mit Ablauf des 26. Dezember 2017 enden.

Fristenberechnung: Klassischer Fristenmonat versus pauschaler 30-Tages-Monat
Was aber bedeutet die 30-Tages-Regel hinsichtlich § 8 Abs. 4 Satz 2 AÜG im Kontext der Tarifverträge über Branchenzuschläge? Dort heißt es, dass nach spätestens 15 Monaten einer Überlassung die sechste Stufe des Branchenzuschlags greife. Konsequenterweise müssten diese 15 Monate dann ebenfalls mit 30 Tagen je Monat gerechnet werden. Wenn nicht, würde der Personaldienstleister gegen das AÜG verstoßen.

Die Personaldienstleister berechnen die Monatsfristen bei der Anwendung der Tarifverträge über Branchenzuschläge generell klassisch per Fristenmonat. Bei einem Überlassungsbeginn zum 1. April 2017 enden die ersten 15 Monate mit Ablauf des 30. Juni 2018. Die sechste Stufe des Branchenzuschlags beginnt am 01. Juli 2018. Sollte auch hier die abweichende Auffassung umgesetzt werden, jeden Monat mit 30 Tagen zu rechnen, endet der 15. Monat bereits mit Ablauf des 24. Juni 2018.

Die Verhandlungsgemeinschaft Zeitarbeit (VGZ) und die jeweiligen DGB-Einzelgewerkschaften haben in der Neufassung der Tarifverträge über Branchenzuschläge nicht zum Ausdruck gebracht, dass sie die Monate der Einsatzdauer hinsichtlich der sechs Stufen zukünftig anders berechnen wollen als bisher. Niemand käme wohl auf die abstruse Idee, hier nun eine Kollision zwischen Tarifnorm und Gesetzesnorm zu attestieren?!

Vergleichsentgelt: allgemeinverbindliche, rechtssichere Methode fehlt
Ein anderer Aspekt, bei dem es in puncto Equal Pay zu Umsetzungsproblemen kommt, ist die Berechnung des Vergleichsentgelts. Inzwischen liegen die ersten ausgefüllten „Equal-Pay-Erhebungsbögen“ vor. Wie aber jedoch Personaldienstleister und Kunden den sogenannten Gesamtvergleich zwischen dem fiktiven Arbeitsentgelt des vergleichbaren stammbeschäftigten Arbeitnehmers und dem tatsächlichen Verdienst des Zeitarbeitnehmers konkret umsetzen sollen – dafür gibt es nach meiner Kenntnis  keine allgemeinverbindliche, rechtssichere Vergleichsmethode.

In den Fachlichen Weisungen der BA wird auf die BAG-Rechtsprechung (Urteil vom 23.03.2011 – Az. 5 AZR 7/10) verwiesen. Danach sind beim Arbeitsentgelt nicht die einzelnen Bestandteile – etwa Zuschläge, Prämien oder laufendes Entgelt – zu vergleichen, sondern es ist ein Gesamtvergleich der Entgelte im Überlassungszeitraum vorzunehmen. Das BAG hatte hierbei die jeweiligen „Equal-Pay-Sachverhalte“ ausschließlich in der Retrospektive entschieden. Aus heutiger Sicht ist das nur bedingt tauglich für einen praktikablen „Just-in-time“-Gesamtvergleich.

Zehn Sachverhalte, die aktuell unklar sind
Insgesamt werden bei der Vergleichsberechnung aktuell viele Sachverhalte uneinheitlich diskutiert. Die folgenden zehn Beispiele sollen das verdeutlichen, sind aber keineswegs als abschließend beziehungsweise vollständig zu sehen:

  1. Können fortlaufend Saldierungen über die Monatsgrenze hinaus erfolgen, zum Beispiel hinsichtlich Sonderzahlungen wie Weihnachtsgeld oder 13. Monatsgehalt?
  2. Ist die Aufspaltung in sozialversicherungspflichtige und -freie Vergütungselemente zulässig, etwa bei den Nachtarbeitszuschlägen?
  3. Bezugszeitraum für die Vergleichsberechnung bei mehreren Überlassungszeiträumen: Laut BAG-Rechtsprechung (Urteil vom 21.10.2015 – 5 AZR 604/14) ist die Differenzvergütung für jeden Überlassungszeitraum getrennt zu ermitteln. Hat das für die Abrechnungspraxis konkrete Auswirkungen?
  4. Sachbezüge und deren Barausgleich: Die Schwierigkeiten zur vollständigen Gleichstellung insbesondere im Bereich der Sachbezüge hat den Gesetzgeber dazu veranlasst, die neue Möglichkeit des Wertausgleichs in bar gemäß § 8 Abs. 1 Satz 3 AÜG zu kreieren. Sachbezüge sind unter anderem Firmen-PKW, Personalrabatt, subventioniertes Kantinenessen, Aktienoptionen.
  5. Arbeitszeitregime des Kundenunternehmens: Weicht die Arbeitszeit des vergleichbaren stammbeschäftigten Arbeitnehmers als Gehaltsempfänger von der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit des Zeitarbeitnehmers ab, muss laut BAG-Urteil 5 AZR 7/10 vom 23. März 2011 eine proportionale Anhebung beziehungsweise Absenkung des Arbeitsentgelts vorgenommen werden.
  6. Monatsgehalt – Umrechnung auf Stundenlohn: Wird an einen Stammarbeitnehmer ein Monatsgehalt gezahlt, soll das Herunterrechnen auf einen – fiktiven – Stundenlohn nicht möglich sein, so das BAG-Urteil 5 AZR 680/12 vom 19. Februar 2014. Ausgangspunkt für die Vergleichsberechnung ist dann das gegebenenfalls anteilige Monatsgehalt. Erstreckt sich ein Überlassungszeitraum nicht auf einen vollen Kalendermonat, muss das anteilige Monatsentgelt nach den beim Entleiher geltenden Berechnungsregeln bestimmt werden. Existiert keine Berechnungsregel, ist das anteilige Monatsgehalt auf der Basis eines Dreißigstel je Tag des Überlassungszeitraums zu ermitteln, so das BAG mit Urteil vom 23. Oktober 2013, 5 AZR 556/12.
  7. Aufwendungsersatz, insbesondere Fahrtkostenerstattung, VMA und Übernachtungskosten: Nach Auffassung des BAG ist vom Personaldienstleister gezahlter Aufwendungsersatz herauszurechnen, sofern es sich um „echten“ Aufwendungsersatz handele, siehe Urteil 5 AZR 1046/12 vom 19. Februar 2014.
  8. Fälligkeit: Wird die Vergütung weiterhin zu dem im Arbeitsvertrag des Zeitarbeitnehmers bestimmten Zeitpunkt fällig – oder ist Fälligkeit als Annex des Vergütungsanspruchs auszulegen, sodass es auf den beim Kundenunternehmen geltenden Zeitpunkt ankommt?
  9. Arbeitszeitkonto: Darf der Personaldienstleister die Arbeitszeitkonten (AZK) während der Überlassung der Zeitarbeitnehmer nur in dem Umfang führen, in dem diese beim Kundenunternehmen geführt werden? Wird beim Kundenunternehmen überhaupt kein AZK geführt, dürfte der Personaldienstleister in dem Überlassungszeitraum dementsprechend ebenfalls keines führen?
  10. Krankenvergütung und Urlaubsentgelt: Nach der viel zitierten BAG-Rechtsprechung des fünften Senats berechnet sich sowohl das Urlaubsentgelt für genommenen Urlaub als auch die Krankenvergütung bezüglich arbeitsunfähiger Erkrankung innerhalb des Überlassungszeitraums nach den dafür beim Kundenunternehmen geltenden Bestimmungen.

Fazit

Die Bereiche Fristenberechnung und Vergleichsentgelt zeigen: Die Umsetzung von Equal Pay ist ein hochkomplexes Thema, das die Zeitarbeitsbranche in den kommenden Jahren intensiv beschäftigen wird. Deswegen plädiere ich für die Einberufung einer Expertenrunde. Hier könnten sich zum Beispiel Arbeitsrechtler, IT- und Software-Spezialisten sowie Vertreter von BAP und iGZ zu den unklaren Sachverhalten abstimmen und den Zeitarbeitsunternehmen beziehungsweise deren Abrechnungsstellen konkret vereinbarte Ergebnisse als Handlungsempfehlung zur Verfügung stellen. Für die Reputation unserer Branche ist es sicherlich von großem Vorteil, wenn sie proaktiv feste Standards entwickelt. Auf einen längerfristigen Entwicklungs- und Verbesserungsprozess über einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren sollte man sich dabei aber einstellen.

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