01.02.2022 Edgar Schröder

Ein Quantum Negativschlagzeilen

  • Mitte Januar erregten mehrere Schlagzeilen Aufsehen. Der Grundtenor: Zeitarbeitsregeln verstoßen gegen geltendes EU-Recht.
  • Die Negativschlagzeilen – gefundenes Fressen für Kritiker der Personaldienstleistungen – beinhalten allerdings nur die halbe Wahrheit.
  • In seinem Beitrag stellt Branchenexperte Edgar Schröder die Zusammenhänge und Hintergründe übersichtlich dar und erklärt, wieso die Berichterstattung in diesem Fall in Sachen Vollständigkeit und Neutralität zu wünschen übriglässt.

Substanziell kann nichts wirklich Neues in der Presselandschaft über die Zeitarbeitsbranche im Januar 2022 entdeckt werden. Bis auf etwas sehr Spezielles. Bemerkenswert ist das „Kunststück“, ein grundlegendes Thema des allgemeinen Arbeitsrechts als spezifische Besonderheit direkt den Zeitarbeitsunternehmen anzukreiden. Im Fokus stehen diese Schlagzeilen:

„EuGH stärkt Rechte von Leiharbeitern“

„Deutsche Zeitarbeitsregel verstößt teils gegen EU-Recht“

Was ist der Hintergrund?

Am 13. Januar 2022 erfuhren branchenübergreifend alle Personalprofis, dass die seit Jahrzehnten etablierte Berechnungsgrundlage für Mehrarbeitszuschläge, hier ausschließlich die geleisteten Arbeitsstunden als Bezugsgröße heranzuziehen, gegen die EU-Richtlinie 2003/88/EG zur Arbeitszeitgestaltung (Arbeitszeitrichtlinie) verstößt.

Anders als die o. a. Schlagzeilen es den interessierten Lesern suggerieren, betrifft das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) grundsätzlich alle Arbeitgeber sowie deren Arbeitnehmer gleichermaßen!

Die einzige direkte Verknüpfung zur Zeitarbeitsbranche basiert in dem zugrundeliegenden Sachverhalt. Ein gewerkschaftlich organisierter Zeitarbeitnehmer initiierte den Streitfall im Jahre 2017 gegen das Dortmunder Unternehmen Koch Personaldienstleistungen GmbH, das als iGZ-Mitgliedsunternehmen tarifgebunden ist.

Edgar Schröder

Der Sachverhalt in Kürze

Der klagende Zeitarbeitnehmer hatte in dem Monat August 2017 an den ersten 13 Arbeitstagen 121,75 Stunden produktiv gearbeitet. Für die verbleibenden 10 Arbeitstage wurde Erholungsurlaub mit 84,70 Stunden erfasst. Weil die Produktivstunden den tarifvertraglichen Schwellenwert nicht überschritten, rechnete das o. g. Zeitarbeitsunternehmen keine Mehrarbeitszuschläge ab. Der Kläger meinte, die Überschreitung des Schwellenwertes (hier 184 Stunden an 23 Arbeitstagen) sei durch Addition der Produktivstunden und der Urlaubsstunden (= 206,45 Stunden) zu ermitteln. Das Bundesarbeitsgericht legte diese Frage dem EuGH vor (Beschluss vom 17.06.2020 – 10 AZR 210/19 (A)). In der Summe ging es um 72,32 €.

Vergleichbare Tarifregelungen existieren „zu Hauf“ in anderen Branchentarifverträgen, beispielsweise im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (vgl. § 7 Abs. 7 TVÖD).

Es bleibt meinerseits der Wunsch bzw. die Hoffnung auf ausgewogene Berichterstattung ohne vordergründige Diffamierung der Zeitarbeitsbranche!

– Edgar Schröder

Worin liegt die einseitige Berichterstattung begründet?

Wie kann es sein, dass renommierte Zeitungen bzw. Fachverlage, unter anderem Handelsblatt, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Beck-Online im Kontext ihrer Berichterstattung inhaltsgleich berichten? Ganz einfach: Deren Quelle ist in diesem Fall die dpa – Deutsche Presse-Agentur. Die Reichweite der dpa, als eine der weltweit führenden unabhängigen Nachrichtenagenturen ist je nach Blickwinkel bzw. Perspektive „Fluch oder Segen“ für die betroffenen Personen bzw. Branchen.

Die für diese Berichterstattung federführende Person aus der Nachrichtenredaktion ist zum Zeitpunkt der Ausfertigung des Artikels sicherlich nicht bewusst gewesen, dass sogar die dpa als tarifgebundene Arbeitgeberin mit der Gewerkschaft ver.di im unternehmensbezogenen Manteltarifvertrag ausschließlich auf die geleisteten Arbeitsstunden für die Berechnung der tariflichen Mehrarbeitszuschläge abstellt (vgl. Artikel X. MTV).

Es bleibt meinerseits der Wunsch bzw. die Hoffnung auf ausgewogene Berichterstattung ohne vordergründige Diffamierung der Zeitarbeitsbranche!

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