12.08.2025

GVP zum Tariftreuegesetz: „Tarifverträge der Zeitarbeit dürfen kein Tarifwerk zweiter Klasse sein“

  • Am 6. August hat das Bundeskabinett den Entwurf für ein Tariftreuegesetz beschlossen. Damit sollen Nachteile tarifgebundener Unternehmen im Wettbewerb um öffentliche Aufträge beseitigt werden.
  • Der Gesamtverband der Personaldienstleister (GVP) befürchtet jedoch, dass das Gesetz Bürokratie auf- statt abbauen und damit die Vorhaben der Bundesregierung aus dem Koalitionsvertrag konterkarieren würde.
  • Im Gespräch mit Dr. Anja Clarenbach, Leiterin Fachbereich Grundsatz – Politik beim GVP, haben wir die Gründe erörtert, warum sich der Verband entschieden gegen diesen Entwurf positioniert.

arbeitsblog: Hallo Frau Dr. Clarenbach, das Bundeskabinett hat den Entwurf des Tariftreuegesetzes in nur leicht geänderter Form beschlossen. Der GVP hat sich in einer Stellungnahme entschieden dagegengestellt. Was ist aus Ihrer Sicht das Hauptproblem daran? 

Dr. Anja Clarenbach: Das Hauptproblem ist, dass die Tarifverträge der Zeitarbeit im Gesetzesentwurf nicht als Tarifbindung im Sinne des Tariftreuegesetzes berücksichtigt werden. Aus den §§ 3 und 4 des Entwurfs geht hervor, dass Zeitarbeitsunternehmen – sogenannte Verleiher – bei Bundesaufträgen bestimmte Arbeitsbedingungen einhalten müssen, die in einer Rechtsverordnung des Bundesarbeitsministeriums festgelegt werden. Diese Rechtsverordnung basiert jedoch nicht auf den Tarifverträgen der Zeitarbeit, sondern auf den Regelungen eines anderen Tarifwerks. Das führt dazu, dass wichtige Teile unserer Tarifverträge ausgehebelt werden.

arbeitsblog: Der GVP betont, man unterstütze das Ziel der Stärkung der Tarifautonomie, lehne aber den Weg der Bundesregierung ab. Wo sehen Sie die Widersprüche?

Dr. Anja Clarenbach: In der Zeitarbeit liegt die Tarifabdeckung bei rund 90 Prozent – damit sind wir eine der Branchen mit der höchsten Anwendung von Tarifverträgen überhaupt. Die DGB-Tarifgemeinschaft Leiharbeit, in der alle acht Einzelgewerkschaften vertreten sind, hat erst kürzlich ein neues Tarifwerk mit uns abgeschlossen, das bis Ende 2029 läuft. Tarifautonomie und Tarifvertragssystem funktionieren also – und zwar sehr gut. Trotzdem werden unsere Tarifverträge durch den Gesetzesentwurf zurückgestuft. Damit werden sie zu einem Tarifwerk zweiter Klasse gemacht. Aus meiner Sicht wird die Tarifautonomie dadurch mit Füßen getreten.

arbeitsblog: Was bedeutet Tariftreue für den GVP?

Dr. Anja Clarenbach: Tariftreue heißt für uns, dass Unternehmen sich an das einschlägige Tarifwerk ihrer Branche halten und die Regelungen korrekt umsetzen. Im Fall der Personaldienstleister also die Tarifverträge, die zwischen dem GVP und der DGB-Tarifgemeinschaft abgeschlossen wurden. Das geplante Gesetz hingegen verpflichtet tarifgebundene Unternehmen dazu, Regelungen anderer Tarifwerke einzuhalten – deshalb spreche ich vom „Tarifuntreuegesetz“. 

arbeitsblog: Der GVP verweist in der Stellungnahme auf ein aktuelles IAW-Gutachten, das den Pay Gap in der Zeitarbeit relativiert. Was sagen Sie Kritiker*innen, die Zeitarbeit grundsätzlich für prekär halten – trotz Tarifbindung?

Dr. Anja Clarenbach: Das IAW-Gutachten relativiert den sogenannten Pay Gap nicht nur – es zeigt vielmehr, dass Zeitarbeit sogar Vorteile bieten kann. In zwei der drei Berechnungsmodelle liegt der Stundenlohn von sozialversicherungspflichtig beschäftigten Zeitarbeitskräften um +5 bis +10 Prozent höher als bei Vergleichsgruppen. Beim dritten Modell liegt die Lohnlücke zwischen –2,5 und 0 Prozent. Das zeigt: Zeitarbeit ist eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsform mit angemessener Bezahlung. Wer heute noch von „prekär“ spricht, ignoriert bewusst die Entwicklungen der letzten 15 bis 20 Jahre und kennt offenbar die geltenden rechtlichen und tariflichen Rahmenbedingungen nicht.

arbeitsblog: Welche konkreten Auswirkungen hätte das Gesetz in der jetzigen Fassung für tarifgebundene Zeitarbeitsunternehmen?

Dr. Anja Clarenbach: Zeitarbeitsunternehmen müssten Arbeitsbedingungen aus anderen Tarifwerken einhalten, wenn sie bei Bundesaufträgen tätig werden. Das ist administrativ sehr aufwändig – Personalverwaltung und Rechnungswesen sind auf unser brancheneigenes Tarifwerk ausgerichtet. Wenn ein Zeitarbeitsunternehmen an mehreren solchen Aufträgen beteiligt ist, können dann auch noch ganz unterschiedliche Tarifverträge zum Tragen kommen. Dies macht das Ganze noch aufwändiger und eine standardisierte Umsetzung in entsprechende IT-Lösungen eher schwierig. Insbesondere die Berechnung des Jahresurlaubsanspruchs dürfte nicht ganz trivial werden, wenn Zeitarbeitskräfte partiell unter andere Tarifvertragsregelungen für Urlaub fallen, wie im Regierungsentwurf vorgesehen.

Das geplante Gesetz hingegen verpflichtet tarifgebundene Unternehmen dazu, Regelungen anderer Tarifwerke einzuhalten – deshalb spreche ich vom „Tarifuntreuegesetz“.

Dr. Anja Clarenbach

arbeitsblog: Welche konkreten Alternativen schlägt der GVP vor?

Dr. Anja Clarenbach: Aus unserer Sicht sollte der Nachweis einer Tarifbindung ausreichen – etwa durch eine Bestätigung des zuständigen Arbeitgeberverbands. Bei uns also eine Bestätigung des GVP, dass ein Unternehmen tarifgebundenes Mitglied ist. Die Rechtsverordnung des Bundesarbeitsministeriums sollte dann ausschließlich für Unternehmen gelten, die keine Tarifbindung nachweisen können. Übrigens: Auch der Nationale Normenkontrollrat spricht sich in seiner Stellungnahme gegenüber dem Ministerium für diese Lösung aus.

arbeitsblog: Was wünschen Sie sich jetzt konkret von der Politik? 

Dr. Anja Clarenbach: Zumindest die gerade genannten Änderungen. Aber ehrlich gesagt, passt dieses ganze Tariftreuegesetz nicht in die Zeit. Es schafft weitere Bürokratie, die die Bundesregierung ja eigentlich abbauen wollte, und belastet die Unternehmen. Dabei wäre das Gebot der Stunde Entlastung, damit es in Deutschland nach drei Jahren endlich wieder wirtschaftlich aufwärts geht. Aber das dürfte ein frommer Wunsch bleiben, denn das Tariftreuegesetz steht bereits als Vorhaben im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD.


Dr. Anja Clarenbach

Dr. Anja Clarenbach verantwortet den Fachbereich Grundsatz – Politik des GVP. Seit 2003 ist sie in unterschiedlichen Funktionen für Vorgängerverbände des GVP tätig, unter anderem beim Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister als Leiterin der Abteilung Grundsatz-Politik, Bildung sowie Mitglied der Geschäftsleitung, und war von 2019 bis 2023 Geschäftsführerin der Bundesakademie für Personaldienstleistungen. Nach dem Ersten Staatsexamen (Höheres Lehramt) promovierte sie in deutscher Literaturwissenschaft.

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