Realität statt Vorurteil: „Zeitarbeit ist eine tragende Säule der Wirtschaft.“
- Die Zeitarbeit ist nach wie vor von Vorurteilen geprägt. Studien und Fallbeispiele aus der Praxis zeigen jedoch: Sie ist professionalisiert, tariflich abgesichert und für viele Beschäftigte ein Sprungbrett in feste Anstellungen.
- Antonio Zill, Geschäftsführer von Pactos, räumt im arbeitsblog-Interview mit Mythen auf und blickt nach vorn. Er erklärt, warum nicht die Zeitarbeit selbst das Problem ist, sondern ihre Organisation, und wie digitale Lösungen Prozesse effizienter und transparenter machen können.
arbeitsblog: Hallo Antonio, wie blickst du grundsätzlich auf die Zeitarbeit – wo liegen aus deiner Sicht die Probleme und wo die Chancen?
Antonio Zill: Zeitarbeit ist ein Instrument, das Unternehmen dann einsetzen, wenn bestimmte Fertigkeiten kurzfristig fehlen – sei es in der Pflege, in der Logistik oder in der Industrie. Risiken entstehen nicht durch das Instrument selbst, sondern durch schlechte Organisation. Klare Rollen, vollständige Dokumentation und digitale Prüfungen sind entscheidend, um Rechtssicherheit und Transparenz zu schaffen. Zeitarbeit ist nicht das Problem – die Frage ist vielmehr, wie sie organisiert wird.
arbeitsblog: Kritiker*innen sagen: Zeitarbeit sei nur ein Notnagel für Beschäftigte und Unternehmen. Was entgegnest du?
Antonio Zill: Das Gegenteil ist der Fall. Zeitarbeit ist eine tragende Säule der Wirtschaft. Ohne sie würden Logistikzentren in Spitzenzeiten zusammenbrechen, Produktionslinien stünden still und Kliniken hätten noch größere Personalprobleme.
Auch für Beschäftigte ist Zeitarbeit eine echte Chance. Studien zeigen: Acht von zehn Arbeitslosen, die über Zeitarbeit einsteigen, haben nach spätestens sechs Monaten eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Zeitarbeit ist also nicht der „Notnagel“, als der sie oft dargestellt wird, sondern ein wichtiges Wertschöpfungsinstrument.
arbeitsblog: Trotzdem hält sich das negative Image der Zeitarbeit hartnäckig. Woran liegt das?
Antonio Zill: Viele Menschen haben noch die Bilder aus den 90er oder frühen 2000er Jahren im Kopf, als Lohndumping und schlechte Arbeitsbedingungen Schlagzeilen machten. Diese Vorurteile sind tief verankert. Hinzu kommt: Negative Einzelfälle bekommen mediale Aufmerksamkeit, während die vielen positiven Beispiele kaum wahrgenommen werden.
Heute sieht die Realität anders aus. Tariflöhne liegen weit über dem Mindestlohn, Personaldienstleister arbeiten transparent, und in manchen Branchen verdienen Beschäftigte in der Zeitarbeit sogar besser als Stammkräfte. Aber solche Entwicklungen dringen nur langsam durch. Deshalb sage ich: Mythen zu entkräften braucht Zeit – und viele sachliche Belege.
arbeitsblog: Ihr bietet bei Pactos eine KI-gestützte Plattform für die digitale Verwaltung von Fremdpersonal an. Welche Probleme lassen sich damit lösen?
Antonio Zill: Viele Prozesse im Zeitarbeitsmarkt stecken noch im 20. Jahrhundert–Excel-Tabellen, Papierordner und endlose Telefonlisten sind viel zu oft Standard. Das ist nicht nur ineffizient, sondern auch fehleranfällig. Wir haben Pactos gegründet, weil wir diesen Rückstand gesehen haben. Wir sind die Schnittstelle zwischen Unternehmen, Personaldienstleistern und Beschäftigten und entwickeln für sie digitale Lösungen. So lassen sich Abstimmungen beschleunigen, Compliance-Vorgaben automatisch prüfen, Arbeitszeiten digital erfassen und Stammdaten sauber verwalten. Das schafft Transparenz, reduziert Streitfälle, spart Zeit und schafft Vertrauen – bei Kund*innen ebenso wie bei Mitarbeitenden.
Gerade in Zeiten wirtschaftlicher Rezessionen oder bei Auftragsspitzen hat sich Zeitarbeit als flexibles Instrument bewährt. […] Zeitarbeit ist kein Ersatz für reguläre Beschäftigung, sondern ein Puffer, der Stabilität schafft.
arbeitsblog: Digitalisierung kann auch Kontrollmechanismen verstärken. Wie verhindert ihr, dass Transparenz in Überwachung kippt?
Antonio Zill: Indem wir klare Grenzen ziehen. Wir arbeiten strikt nach europäischen Datenschutzregeln. Daten dürfen nur erhoben werden, wenn sie wirklich notwendig sind, und Speicherfristen müssen eingehalten werden. Wichtig ist außerdem, Betriebsräte einzubeziehen und Rollen- und Rechtekonzepte festzulegen. So profitieren Beschäftigte und Unternehmen gleichermaßen.
arbeitsblog: Manche befürchten, dass ein attraktiveres Zeitarbeitsmodell den regulären Arbeitsmarkt schwächen könnte. Wie siehst du das?
Antonio Zill: Diese Sorge ist unbegründet. Zeitarbeit macht nur rund 1,5 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland aus – ein sehr kleiner Teil. Sie ersetzt den regulären Arbeitsmarkt nicht, sondern ergänzt ihn. Gerade in Zeiten wirtschaftlicher Rezessionen oder bei Auftragsspitzen hat sich Zeitarbeit als flexibles Instrument bewährt. Und mit Equal-Pay-Regeln, die spätestens nach neun Monaten gelten, gibt es keine strukturelle Benachteiligung gegenüber Stammkräften. Zeitarbeit ist kein Ersatz für reguläre Beschäftigung, sondern ein Puffer, der Stabilität schafft.
arbeitsblog: Wie sieht deine Vision für die Zukunft der Zeitarbeit aus?
Antonio Zill: Ich wünsche mir standardisierte Prozesse, mehr Nutzung digitaler Lösungen und die Ausschöpfung neuer Technologien – etwa Künstliche Intelligenz bei der Qualifikationsprüfung. Mein Ziel ist, dass Personaldienstleister nicht mehr nur als kurzfristige Vermittler gesehen werden, sondern als strategische und technologische Partner, die Vakanzen schnell besetzen, Prozesse rechtssicher gestalten und Fachkräfte langfristig integrieren.
arbeitsblog: Welche politischen Rahmenbedingungen wären dafür notwendig?
Antonio Zill: Mehr Planungssicherheit ist zentral. Die Regeln sind da, die Branche ist sensibilisiert – jetzt braucht es Kontinuität, keine ständig neuen Vorschriften. Außerdem sollten sektorale Verbote kritisch überprüft werden. Was vor Jahren sinnvoll erschien, ist es heute vielleicht nicht mehr. Und ein ganz wichtiger Punkt: Wir sollten Fachkräfte aus Drittstaaten auch über die Zeitarbeit in Deutschland einsetzen können. In anderen EU-Ländern ist das längst möglich. Angesichts des Fachkräftemangels brauchen wir jedes Instrument, das Integration und Arbeitsaufnahme erleichtert. Zeitarbeit kann einen wichtigen Beitrag leisten – wenn die Politik sie als das anerkennt, was sie ist: ein flexibles, aber unverzichtbares Element unseres Arbeitsmarktes.
arbeitsblog: Vielen Dank für das Gespräch!
Antonio Zill
Antonio ist Mitgründer und Geschäftsführer von Pactos, dem KI-gestützten Vendor Management System für Fremdpersonal. Mit langjähriger Erfahrung im Aufbau digitaler Lösungen hilft er Unternehmen, ihre externen Ressourcen effizient, sicher und transparent zu managen.