02.09.2025

Tarifverhandlungen in der Zeitarbeit 2025: Zwischen Forderungen und Realität

  • Am 22. August 2025 haben die Tarifverhandlungen für die Zeitarbeitsbranche begonnen – mit einer Forderung der DGB-Tarifgemeinschaft von 7,5 % ab Anfang 2026.
  • Der Gesamtverband der Personaldienstleister (GVP) bietet angesichts wirtschaftlicher Unsicherheit 1,5 % ab April 2026 an.
  • Was bedeutet das für Unternehmen und Beschäftigte – und wie könnte sich die Situation in den kommenden Monaten entwickeln? Branchenexperte Edgar Schröder ordnet die Entwicklungen ein.

Am 22. August 2025 starteten die Tarifverhandlungen für die Zeitarbeitsbranche. Die DGB-Tarifgemeinschaft hatte die Entgelttarifverträge zum 30. September 2025 gekündigt. Die Forderung: 7,5 Prozent ab dem 01.01.2026 und ein Jahr Laufzeit. Es soll wieder einen deutlichen Abstand zum gesetzlichen Mindestlohn geben. Ab Januar wären das 15,62 €/Std.

Ein Blick zurück auf die vergangenen Jahre

Rückblickend betrachtet liegt eine Serie kräftiger Tarifentgelterhöhungen hinter uns: Im Juni 2022 hatte sich die Verhandlungsgemeinschaft Zeitarbeit, bestehend aus den seinerzeitigen Arbeitgeberverbänden BAP und iGZ, auf die Erhöhung der Tarifentgelte in den drei unteren Entgeltgruppen (1, 2a und 2b) mit der DGB-Tarifgemeinschaft verständigt. Dieser historische Tarifabschluss bedeutete unterm Strich den Anstieg der Tarifentgelte in drei Etappen von Oktober 2022 bis Januar 2024 um bis zu 24 Prozent!

Am 1. März 2024 kam es zum nächsten Tarifabschluss mit einer Erhöhung der Tarifentgelte in zwei Schritten: Zum 1. Oktober 2024 + 3,7 Prozent und zum 1. März 2025 + 3,8 Prozent.

Konkret in Euro je Stunde stellt sich die zurückliegende „Tarif-Rally“ bezogen auf die EG 1 wie folgt dar:

01.04.22

01.10.22

01.04.23

01.01.24

01.10.24

01.03.25

?

10,88 €

12,43 €

13,00 €

13,50 €

14,00 €

14,53 €

?

Das bedeutet eine Steigerung des Tarifentgeltes der EG 1 binnen drei Jahren von 33,55 Prozent! Hinzu kommen die Dominoeffekte bei den Jahressonderzahlungen und den Branchenzuschlägen. Diese zusätzlichen tariftechnischen Anpassungen bei den Jahressonderzahlungen, Tarifverträgen über Branchenzuschläge sowie der zwischenzeitlichen Inflationsausgleichsprämien im Detail darzulegen, erspare ich mir an dieser Stelle.

Allein vor diesem Hintergrund ist das aktuelle Angebot seitens des Gesamtverbandes der Personaldienstleister (GVP) mit 1,5 Prozent ab April 2026 ja definitiv nachvollziehbar. Darüber hinaus muss zwingend die allgemeine Wirtschaftsmisere in der laufenden Tarifrunde 2025 berücksichtigt werden.

Wirtschaftliche Lage und Branchentrends

In dem Zeitungsartikel des Wirtschaftskorrespondenten Dietrich Creutzburg „Zeitarbeit auf Schrumpfkurs – Beschäftigungsmotor im Notbetrieb“ (veröffentlicht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 22.08.2025) wird die seit Jahren andauernde Schrumpfungsphase in der Zeitarbeit ausführlich dargelegt. Neben der AÜG-technisch verschärften Regulierung (u.a. Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten sowie Equal Pay nach 9 Monaten) wird als Hauptursache für den Schrumpfkurs die anhaltende Rezession der Industrie dingfest gemacht. GVP-Verhandlungsführer Sven Kramer wird mit seinem unmissverständlichen Statement zitiert:

Aus Sicht der Arbeitgeber passen solche „Maximalforderungen“ aber gar nicht zur angespannten wirtschaftlichen Lage“. Sie seien „nicht nur realitätsfern, sondern gefährden auch konkret Arbeitsplätze in der Zeitarbeit, … Viele Unternehmen kämpfen mit Auftragsrückgängen, gestiegenen Kosten und einer spürbar geringeren Nachfrage nach flexibler Beschäftigung.“ Ein zu starker Lohnkostenschub setze „nicht nur Arbeitsplätze aufs Spiel, sondern bringt auch ganze Geschäftsmodelle ins Wanken.

Das kann ich aus meiner persönlichen Einschätzung zu 100 Prozent unterstreichen.

Ein Blick über den Tellerrand

Lohnenswert ist ein Blick in die Tarifwelt außerhalb der Zeitarbeit. Nach dem Tarifmonitor des Instituts der Deutschen Wirtschaft für das 1. Halbjahr 2025 gab es lediglich in 9 von 22 erfassten Branchen Tariferhöhungen. Neben den immer noch hohen Entgeltforderungen verlangen die Gewerkschaften zusätzliche freie Tage plus Vorteilsregelungen für Gewerkschaftsmitglieder.

Dass es auch mit Augenmaß geht, zeigen die Abschlüsse in anderen Branchen, vgl. Seite 12 und 13 des Berichts – auszugsweise Wiedergabe:

  • Deutsche Bahn + EVG: unter anderem Erhöhung der Entgelte in drei Schritten; 2 Prozent ab Juli 2025; weitere 2,5 Prozent ab Juli 2026; weitere 2 Prozent als „EVG-Zusatzgeld“ ab Dezember 2027 (als jährliche Einmalzahlung)
  • Deutsche Post + ver.di: unter anderem Erhöhung der Entgelte der Tarifbeschäftigten um 2 Prozent ab April 2025; weitere 3 Prozent ab April 2026
  • Papierverarbeitende Industrie + ver.di: Erhöhung der Entgelte um 2 Prozent ab Juli 2025; weitere 2,4 Prozent ab Mai 2026; weitere 1,1 Prozent ab Januar 2027; Laufzeit bis zum 30. April 2027 (27 Monate)
  • Systemgastronomie + NGG: unter anderem Abstandsklausel zum gesetzlichen Mindestlohn; Tarifgruppe 1 – 20 Cent | Tarifgruppe 2 – 35 Cent | Tarifgruppe 3 – 45 Cent. Laufzeit bis zum 31. Dezember 2026 (22 Monate)

Abstand zum Mindestlohn im Fokus

Insbesondere die tariftechnische Abstandsklausel zum gesetzlichen Mindestlohn in den unteren drei Tarifgruppen der Systemgastronomie mit „überschaubaren“ Cent-Beträgen zeigt deutlich auf, dass – so gesehen im direkten Vergleich – der jetzige 1,71 €-Abstand der EG 1 im BAP/DGB-ETV bzw. iGZ/DGB-ETV drastisch überzogen ist.

Die Gewerkschaftsforderung, es solle wie bisher ein deutlicher Abstand der EG 1 zum allgemeinen Mindestlohn eingehalten werden, wäre demzufolge auch bei einer „Nullrunde“ für das kommende Jahr mit 0,63 € zweifelsohne gegeben. Daher ist das GVP-Angebot mit + 1,5 Prozent ab April 2026 im jetzigen Krisenumfeld definitiv fair.

Zusätzlich muss die Forderung der IG Metall nach Verbesserungen bei den Branchenzuschlägen kritisch im Blick behalten werden. Denn die IG Metall hat die betreffenden Tarifverträge über Branchenzuschläge in der Metall- und Elektroindustrie, der Holz- und Kunststoff verarbeitenden Industrie und der Textil- und Bekleidungsindustrie gleichfalls zum 30. September 2025 gekündigt.

Im Klartext: Nach 33,55 Prozent Tarifentgelterhöhung in den zurückliegenden drei Jahren müsste die gewerkschaftliche Zielsetzung nunmehr ein signifikant gemäßigter Tarifabschluss sein. Andernfalls gäbe es nur Verlierer sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf Arbeitnehmerseite.

– Edgar Schröder

Szenarien für die laufende Tarifrunde

Sofern die DGB-Tarifgemeinschaft in der aktuellen Tarifrunde nicht gewillt sein sollte, sich auf das solide GVP-Angebot von 1,5 Prozent einzulassen, könnte es zu einer intensiven Tarifauseinandersetzung kommen. Das ist in Sozialpartnerschaften zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden ein Stück weit Normalität.

Die Gewerkschaftsseite kann sich nach meinen langjährigen Beobachtungen nicht nur dogmatisch, sondern durchaus pragmatisch auf nachhaltige Tarifmodelle einlassen. Das hat sie ja aktuell mit dem neuen DGB/GVP-Tarifwerk unter Beweis gestellt.

Unter branchenübergreifender Reflexion der akut prekären wirtschaftlichen Situation sollte sie darüber hinaus die positive Gesamtentwicklung der Tarifpartnerschaft mit unserer Branche in den zurückliegenden 22 Jahren messbar einfließen lassen.

Im Klartext: Nach 33,55 Prozent Tarifentgelterhöhung in den zurückliegenden drei Jahren müsste die gewerkschaftliche Zielsetzung nunmehr ein signifikant gemäßigter Tarifabschluss sein. Andernfalls gäbe es nur Verlierer sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf Arbeitnehmerseite.

Setzen die DGB-Gewerkschaften ihre überzogenen Forderungen durch, bedeutet das mehr Outsourcing. Denn Industriedienstleister können auf den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn zurückgreifen und müssen keine Branchenzuschläge zahlen. Die klassische Zeitarbeit muss über das Geschäftsmodell Equal Treatment nachdenken, denn vielfach zahlt die Zeitarbeit schon jetzt besser als ihre Kunden. Es ist vielleicht kein Zufall, dass der GVP inzwischen eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung anbietet.

Ein Appell zur Besonnenheit

Abschließend erlaube ich mir diesen präventiven Hinweis: Es ist für die gesamte Zeitarbeitsbranche enorm wichtig, dass in den sozialen Medien weder emotionale Eskalationen geschürt noch spekulative Kompromiss-Kennzahlen kommuniziert werden.

Getreu dem Motto: „In der Ruhe liegt die Kraft!“

Kategorien

Kontakt

0911974780 info@kontext.com