29.07.2019 Edgar Schröder

Edgar Schröder: „Die Branche braucht ein transparentes Tarifregister.“

  • Edgar Schröder beobachtet: Personaldienstleister haben es aktuell oft schwer, Einblick in die Tarifverträge zu nehmen. Das ist insbesondere problematisch, da ihnen bei Nichteinhaltung der Überlassungshöchstdauer drastische Strafen drohen
  • Sowohl § 16 der Verordnung zur Durchführung des Tarifvertragsgesetzes als auch die Kommentierung zum Tarifvertragsgesetz der Professoren Manfred Löwisch und Volker Rieble machen deutlich: Einsicht in das Tarifregister ist jedem gestattet
  • Um die Situation zu entschärfen, appelliert der Berater der Zeitarbeit an die beiden Verbände BAP und iGZ: Reicht eine gemeinsame Anfrage ein, lasst Euch die relevanten Tarifverträge übermitteln – und stellt sie den Verbandsmitgliedern per Login-Zugang zur Verfügung

In unserer TOP-INFO vom 10. Mai 2019 haben wir herausgearbeitet, dass insgesamt 109 Tarifverträge existieren, in denen abweichende Überlassungshöchstdauern von mehr als 18 Monaten zwischen Arbeitgebern beziehungsweise Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften verankert werden. Nun hat sich in der Zeitarbeitsbranche in jüngster Vergangenheit jedoch der Eindruck verfestigt, dass diese Tarifverträge zu den bestgehüteten Geschäftsgeheimnissen gehören. Nur in Ausnahmefällen stellen tarifgebundene Kundenunternehmen den Personaldienstleistern die betreffenden Tarifverträge plus gegebenenfalls darauf basierende Betriebsvereinbarungen zur Verfügung.

Für mich stellt die barrierefreie Dokumentation der abweichenden Überlassungshöchstdauer eine klare Bringschuld seitens der entleihenden Kundenunternehmen gegenüber ihren Personaldienstleistern dar. Diese zählt – vergleichbar mit der Equal Pay Dokumentation – zu den unabdingbaren Informationspflichten der Kundenunternehmen auf Grundlage der abgeschlossenen Überlassungsverträge. Denn: Personaldienstleister müssen gegenüber der Bundesagentur für Arbeit (BA) als zuständige Erlaubnisbehörde die gesetzeskonforme Umsetzung ihrer Matching-Prozesse zweifelsfrei darlegen können.

Um die geschäftliche, vertrauensvolle Beziehungsebene zwischen Kunden und Personaldienstleistern nicht unnötig zu strapazieren, ist eine alternative Herangehensweise zur grundlegenden Problemlösung für die gesamte Branche meines Erachtens dringend erforderlich.

– Edgar Schröder gibt zu denken:

Nur den Personaldienstleistern drohen drastische Strafen
Ausschließlich für Personaldienstleister ist die Nichteinhaltung der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) bußgeldbewehrt – bis zu 30.000 Euro je Verstoß (§ 16 Abs. 1 Nr. 1e. iVm. Abs. 2 AÜG) – und zugleich ein eigenständiger Versagungstatbestand. Das bedeutet: Die BA kann sogar die AÜG-Erlaubnis widerrufen (siehe § 3 Abs. 1 Nr. 1 AÜG)!

Um die geschäftliche, vertrauensvolle Beziehungsebene zwischen Kunden und Personaldienstleistern nicht unnötig zu strapazieren, ist eine alternative Herangehensweise zur grundlegenden Problemlösung für die gesamte Branche meines Erachtens dringend erforderlich. Daher folgender Vorschlag:

Laut Stellungnahme der Bundesregierung sind die 109 relevanten Tarifverträge im Tarifregister des Bundes registriert (Bundestags-Drucksache 19/9779 vom 29.04.2019). § 16 der Verordnung zur Durchführung des Tarifvertragsgesetzes (DVO) regelt klar:

"Die Einsicht des Tarifregisters sowie der registrierten Tarifverträge ist jedem gestattet. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales erteilt auf Anfrage Auskunft über die Eintragungen. Die Einsichtnahme ist einzuschränken oder zu verwehren, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der betreffende Tarifvertrag Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse oder personenbezogene Daten beinhaltet."

In der Kommentierung von Löwisch / Rieble zum Tarifvertragsgesetz (4. Auflage 2017; Verlag Vahlen) zu § 6 Tarifregister wird unter den Randziffern 13 und 14 unmissverständlich ausgeführt:

"Der Zweck des Tarifregisters erschöpft sich nicht darin, dem Bundesministerium einen verlässlichen Überblick über die bestehenden Tarifverträge zu verschaffen. Vielmehr sollen sich alle Gerichte und Behörden, die am Arbeitsleben Beteiligten, die aus wissenschaftlichen Gründen Interessierten wie überhaupt jedermann zuverlässige Auskunft über die geltenden Tarifverträge verschaffen können. Das Tarifregister ersetzt insoweit die Funktion der Veröffentlichung in amtlichen Bekanntmachungsblättern.

Dementsprechend legt § 16 DVO fest, dass die Einsicht in das Tarifregister jedem gestattet ist und das BMAS auf Anfrage Auskunft über die nach § 14 DVO erfolgten Eintragungen zu erteilen hat. Dabei erstreckt sich das Einsichtsrecht des § 16 DVO seit 1988 auf die ‚registrierten Tarifverträge‘. Mit der Umstellung auf das elektronische Tarifarchiv ist das Bundesministerium verpflichtet, eine elektronische Tarifkopie zu übermitteln."

Unser Nachbarland Österreich ist geradezu ein exzellentes Paradebeispiel für Transparenz und Service. Die Wirtschaftskammern Österreichs haben auf ihrer Website sämtliche Kollektivverträge zum Download gelistet. Diese kann jede interessierte Person ohne Kennwortschutz einsehen!

– Edgar Schröder führt als Beispiel an:

Lösungsvorschlag in Anlehnung an das Nachbarland Österreich
Vor diesem Hintergrund könnte ich mir sehr gut vorstellen, dass der Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (BAP) und der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) gemeinsam eine offizielle Anfrage beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales einreichen, mit der Bitte alle relevanten Tarifverträge zu übermitteln. Im zweiten Schritt würden diese Tarifverträge den Verbandsmitgliedern auf einer extra eingerichteten Website im Internet per Login-Zugang zur Verfügung gestellt. Unser Nachbarland Österreich ist geradezu ein exzellentes Paradebeispiel für Transparenz und Service. Die Wirtschaftskammern Österreichs haben auf ihrer Website sämtliche Kollektivverträge zum Download gelistet. Diese kann jede interessierte Person ohne Kennwortschutz einsehen!

Schließlich interessiert uns in Deutschland unter anderem, ob die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in den Sektoren Post und Telekommunikation tatsächlich eine abweichende Überlassungshöchstdauer von bis zu 120 Monaten – sprich: zehn Jahren! – akzeptiert!? Der Laie staunt, und der Fachmann wundert sich. Können 120 Monate Überlassungszeitraum noch gesetzeskonform belastbar als „vorübergehend“ im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 4 AÜG bewertet werden? Oder ist die von mir geforderte Transparenz bei den Tarifverträgen unter anderem gewerkschaftspolitisch möglicherweise gar nicht gewünscht?!

Fazit

In diesem Kontext zitiere ich Roman Herzog, den ersten Bundespräsidenten des wiedervereinten Deutschlands, der im Januar 2017 verstarb. Er sagte in seiner Eröffnungsansprache zum Weltwirtschaftsforum in Davos am 28. Januar 1999: "Die Freiheit des Informationsaustausches macht es den Kulturen möglich, sich gegenseitig zu bereichern. Das hält sie lebendig und bewahrt sie vor musealer Erstarrung. Mehr Transparenz würde im Übrigen auch mehr Wahrheit ermöglichen."


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