06.12.2019 Edgar Schröder

Edgar Schröder: „Die Verbände müssen mehr Biss und Aggressivität zeigen!“

  • Mit Blick auf die Pläne von Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD), die die Zeitarbeit in der Pflege eindämmen will, appelliert Edgar Schröder an die Branche: Unterstützt die Online-Petition „Zeitarbeit in der Pflege muss bleiben!“
  • Für den Berater der Zeitarbeit stellt die drohende Beschränkung der Zeitarbeit im Gesundheitswesen einen Präzedenzfall dar. Sollte es hier zu einem Verbot kommen, dann gebe es demnächst auch in anderen Bereichen, etwa bei den Erzieherinnen und Erziehern, kein Halten mehr
  • Führende Experten wie Prof. Dr. Thüsing halten sektorale Verbote der Zeitarbeit für rechtlich zweifelhaft. Gerade deshalb ist es für Edgar Schröder unverständlich, weshalb BAP und iGZ an ihrer bisherigen Defensivtaktik festhalten. Vielmehr brauche es einen „umgehenden Strategiewechsel in der verbandsmäßigen Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit hin zu mehr selbstbewusstem Biss und Aggressivität!“

Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) kündigte Ende Oktober 2019 an, dass das Land Berlin Anfang kommenden Jahres eine Bundesratsinitiative für ein Verbot von Leiharbeit in der Pflege starten werde. Die Details wolle sie demnächst gemeinsam mit Akteuren aus der Pflegebranche vorstellen, sagte sie dem Berliner Tagesspiegel.

Interessante Randnotiz: Frau Kalayci ist Mitglied des Aufsichtsrates von Vivantes, ein Krankenhausbetreiber in Berlin – nach eigenen Angaben Deutschlands größter kommunaler Krankenhauskonzern. Alleiniger Anteilseigner ist das Land Berlin. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Im April 2019 unterzeichnete Dilek Kalayci als Gesundheitssenatorin mit Vertretern der Krankenhäuser, der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände den „Berliner Pakt für Pflege“ (hier geht’s zum PDF). Darin wird unter anderem avisiert, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, „um die Leiharbeit in der Pflege einzudämmen.“

Die Reaktion von BAP und iGZ
Thomas Hetz, Hauptgeschäftsführer des BAP, positionierte sich am 29. Oktober 2019 in einer Pressemitteilung: „Ein Verbot der Zeitarbeit in der Pflege zu fordern, ist europa- und verfassungsrechtlich mehr als bedenklich.“ Auf der neu eingerichteten Microsite des iGZ zur Zeitarbeit in der Pflege wird unter der Rubrik „Pflegethemen“ die Hamburger Senatorin für Gesundheit und Verbraucherschutz, Cornelia Prüfer-Storcks (SPD), wie folgt zitiert: „Wir können im Moment nicht auf diese Kräfte verzichten“, begründet sie ihre Position gegen ein Verbot der Zeitarbeit in der Pflegebranche.

Wenn die Zeitarbeitsunternehmen jetzt schweigen und tatenlos zusehen, wie die politische Debatte in Berlin Zug um Zug die ‚prekäre Beschäftigung‘ im Gesundheitswesen zu beschränken und gegebenenfalls sogar komplett zu verbieten versucht, dann gibt es demnächst kein Halten mehr!

– Der Berater der Zeitarbeit warnt:

Online-Petition „Zeitarbeit in der Pflege muss bleiben!“
Im Internet läuft aktuell die Online-Petition „Zeitarbeit in der Pflege muss bleiben!“. Das Ganze findet auf der Plattform openPetition statt, die Petenten – sprich: Initiatoren – dabei unterstützt, ihre Petition zu erstellen, Unterschriften zu sammeln und die Petition beim entsprechenden Empfänger einzureichen. Damit die Kampagne zur Zeitarbeit in der Pflege im Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags landet, werden bis zum 31. Januar 2020 mindestens 50.000 Unterschriften benötigt.

Meines Erachtens ist es sehr wichtig, dass die Zeitarbeitsbranche solidarisch am gleichen Strang zieht – vom spezialisierten IT- oder Ingenieurdienstleister bis zur klassischen gewerblichen Zeitarbeit.

Wenn die Zeitarbeitsunternehmen jetzt schweigen und tatenlos zusehen, wie die politische Debatte in Berlin Zug um Zug die „prekäre Beschäftigung“ im Gesundheitswesen zu beschränken und gegebenenfalls sogar komplett zu verbieten versucht, dann gibt es demnächst kein Halten mehr! Dann werden über kurz oder lang weitere sektorale Verbote, zum Beispiel für Erzieherinnen und Erzieher, diskutiert.

Zudem sollte berücksichtigt werden, dass die Gewerkschaft ver.di auf ihrem Bundeskongress Ende September 2019 in Leipzig unter anderem mehrheitlich die Forderung verabschiedet hat, langfristig per Gesetzesänderung die Leiharbeit abzuschaffen.

In diesem Zusammenhang sollten wir uns alle das historische Verbot der Überlassung gewerblicher Arbeitnehmer an Betriebe des Bauhauptgewerbes vergegenwärtigen. Seit 1982 existiert dieses Verbot. Es ist in § 1b AÜG „Einschränkungen im Baugewerbe“ verankert.

Ein umgehender Strategiewechsel in der verbandsmäßigen Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit hin zu ‚mehr selbstbewusstem Biss und Aggressivität‘ ist zwingend erforderlich.

– Edgar Schröder schlussfolgert:

Unter welchen Umständen darf Zeitarbeit verboten oder eingeschränkt werden?
Im Zuge der Umsetzung der EU-Richtlinie 2008/104/EG über „Leiharbeit“ im Jahre 2011 in das deutsche AÜG musste die damalige Bundesregierung unter Federführung der Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen auch bestehende Verbote und Einschränkungen prüfen. Aus dem Bericht der EU-Kommission vom 21. März 2014 geht unter Punkt 5.2.1 hervor, dass Deutschland die geltenden Beschränkungen im Bausektor pauschal mit dem Argument „Schutz der Leiharbeitnehmer“ rechtfertigte.

Nach Artikel 4 Abs. 1 der EU-Richtlinie sind Verbote und Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit nur aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Insbesondere folgende Aspekte sind hierbei relevant: „Schutz der Leiharbeitnehmer“, „Erfordernisse von Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz“, „das reibungslose Funktionieren des Arbeitsmarktes“ sowie „Verhütung vor eventuellen Missbrauchs“.

Aus Sicht von Prof. Dr. Gregor Thüsing erscheint es allerdings „höchst zweifelhaft“, ob eine der in Artikel 4 Abs. 1 der EU-Richtlinie vorstehend aufgeführten Voraussetzungen hinsichtlich der Einschränkungen im Baugewerbe erfüllt ist. Er verweist auf andere zahlreiche Stimmen in der Fachliteratur, die eine Aufhebung der Vorschrift europarechtlich für geboten erachten, siehe Rn. 10a zu §1b AÜG in seinem AÜG-Kommentar (4. Auflage 2018; C.H. Beck).

Fazit

Seit vielen Jahren wird ungeachtet der Expertenstimmen bis dato nichts Wirkungsvolles von den Verbänden BAP und iGZ unternommen, um beispielsweise durch Gutachten sowie Musterprozesse dieses sektorale „Bau-Verbot“ proaktiv zu bekämpfen. Die bisherige Defensivtaktik sowie „softige“ Statements werden als Schutzschirm für die uneingeschränkte Dienstleistungsfreiheit unserer Zeitarbeitsbranche nicht länger funktionieren. Ein umgehender Strategiewechsel in der verbandsmäßigen Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit hin zu ‚mehr selbstbewusstem Biss und Aggressivität‘ ist zwingend erforderlich. Parallel sollte jeder Interessierte die Petition „Zeitarbeit in der Pflege muss bleiben!“ mit seiner Unterschrift unterstützen.


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