03.06.2024

„Der Punkt ist, dass die beste Person mit den passenden Fähigkeiten die Stelle ausfüllt.“

  • Die Bedeutung von Diversität nimmt am Arbeitsplatz immer mehr zu. Nicht nur Unternehmen in Deutschland streben eine vielfältige Belegschaft an, auch die Gesetzgebung fordert nach und nach mehr Diversität und weniger Diskriminierung am Arbeitsplatz. Dennoch liegt in Deutschland noch ein weiter Weg vor uns.
  • Das fängt schon beim Bewerbungsprozess an. Gerade dort stoßen viele Arbeitssuchende nach wie vor auf Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Alter, Herkunft oder soziokulturellem Hintergrund. Eine geeignete Plattform fehlt bislang.
  • Sandra Zemke, Geschäftsführerin bei anonyfy, erklärt im Interview, warum ein anonymisierter Bewerbungsprozess Abhilfe schaffen kann und wie anonyfy dabei unterstützt. Passend zur Diversity Week vom 3. bis zum 7. Juni 2024 geht die neue Plattform im Juni online.

arbeitsblog: Frau Zemke, aktuell ist Diversität am Arbeitsplatz ein Top-Thema. Dennoch sind wir noch lange nicht dort angekommen, wo wir sein sollten. Wie schätzen Sie die Situation in deutschen Unternehmen ein? Sehen Sie einen Willen, Stellen diverser zu besetzen?

Sandra Zemke: Es gibt eine ganze Menge Unternehmen, die verstanden haben, dass Diversität wichtig ist und zu mehr Innovation sowie wirtschaftlichem Erfolg führen kann. Gerade sie sind diejenigen, die jetzt schon sowas wie eine Diversity Agenda oder einen Verantwortlichen im Unternehmen haben. Es sind allerdings längst nicht genug.

arbeitsblog: Wie sieht es in der Personaldienstleistung aus?

Sandra Zemke: Ich höre immer wieder von Personaldienstleistern und Headhuntern, dass Unternehmen speziell eine Frau für eine offene Stelle suchen. Das ist auf den ersten Blick zwar gut. Doch dabei kommt die Frage auf, ob das wirklich sinnvoll ist, zwanghaft eine Frau einstellen zu wollen und nicht den Fokus darauf zu legen, die geeignetste Person zu finden. Das kann eine Frau sein oder eventuell auch einer anderen Diversitätsdimension angehören. Das sollte man nicht aus den Augen verlieren. Diversität heißt nicht nur unterschiedliche Geschlechter, sondern schließt auch Alter, Herkunft oder soziokulturellen Hintergrund ein.

arbeitsblog: Aktuell wird immer mehr künstliche Intelligenz (KI) beim Recruiting eingesetzt. Wie können Unternehmen und Recruiter trotz KI für faire Prozesse bei der Bewerberauswahl sorgen? Oder werden Prozesse gerade wegen KI-Einsatz fairer?

Sandra Zemke: Ich verstehe, dass man KI verwenden möchte, um gerade menschliche Schwächen zu vermeiden. Allerdings sollte man auch immer darauf achten, mit welchen Daten die Intelligenzen trainiert werden. Es kann passieren, dass selbst die KI diskriminiert. Allein die Sorgfaltspflicht fordert also, dass die Auswahl, die die KI getroffen hat, regelmäßig überprüft wird. Mit dem neuen EU-Erlass wird es schließlich auch Bewerbenden ersichtlich, wenn KI verwendet wird. Viele von ihnen sehen das kritisch.

Diversität schließt immer mehrere Dimensionen ein. Unter anderem Geschlecht, Alter, Herkunft, soziokultureller Hintergrund oder sexuelle Ausrichtung.

Sandra Zemke, Geschäftsführerin von anonyfy

Sandra Zemke

arbeitsblog: Kann anonyfy zu mehr Diversität in Unternehmen beitragen?

Sandra Zemke: Absolut! Denn mit anonyfy ermöglichen wir einen fairen Bewerbungsprozess, bei dem nur noch die Fähigkeiten der potenziellen Arbeitnehmenden im Vordergrund stehen und so Diskriminierung vermieden wird. Das wirkt nach außen, und führt zu diverseren Bewerbungen. Wir sind ganz klar ein Impact-Unternehmen und wollen die Welt ein Stück verbessern. Gleichzeitig hat unsere Arbeit eine harte wirtschaftswissenschaftliche Grundlage. anonyfy ist allerdings kein Job-Portal. Die Stellenanzeigen werden wie üblich auf den gängigen Plattformen veröffentlicht. anonyfy ist dann der nächste Schritt bei der Bewerbung.

arbeitsblog: Wie sieht der Prozess also bei anonyfy aus?

Sandra Zemke: Im ersten Schritt werden Namen, Geburtsdatum, -ort sowie Ex-Arbeitgeber und Universitäten oder Hochschulen anonymisiert. Bewerbende geben ihre Stationen direkt auf der Plattform an. Aktuell arbeiten wir daran, dass Dokumente hochgeladen werden können und eine Schnittstelle zu LinkedIn eingebunden wird. Darüber hinaus werden über Screening-Fragen erste Anforderungen der Unternehmen abgeklärt.

arbeitsblog: Wie geht es weiter?

Sandra Zemke: Danach ersetzen wir das klassische Telefoninterview per Audioaufnahme. Dabei ist die Struktur immer dieselbe: die gleichen Fragen in derselben Reihenfolge. Die Stimme wird dann soweit verzerrt, dass es nicht mehr erkennbar ist, welches Geschlecht oder Alter der Sprechende hat. Was bei einem normalen Telefoninterview viel Koordinationsaufwand mit sich bringt, wird bei anonyfy vereinfacht, sodass auch mehrere Beteiligte die Audiodatei anhören können. Unternehmen entscheiden dann, ob sie das Talent zum persönlichen Gespräch einladen. Die Anonymisierung wird dabei solange aufrechterhalten, wie die Bewerbenden das möchten.

arbeitsblog: Die Vorteile für Arbeitnehmende liegen auf der Hand, denn die Auswahl erfolgt rein fähigkeitsbasiert. Wie sieht es mit den Arbeitgebenden aus?

Sandra Zemke: Gerade im Hinblick auf den Fachkräftemangel ist es wichtig, neue Wege zu gehen und die eigenen Funnel zu erweitern. So können Unternehmen mehr Menschen ansprechen und ihre Reichweite erhöhen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass allein durch die Ankündigung eines anonymen Verfahrens diversere und insbesondere mehr weibliche Bewerbungen eingesendet werden. Der Punkt ist, dass die beste Person mit den passenden Fähigkeiten die Stelle ausfüllt – unabhängig von Geschlecht, Alter, Herkunft oder ähnlichem.

Die wenigsten Menschen wollen bewusst diskriminieren. anonyfy hilft dabei, den ersten unterbewussten Eindruck zu entschärfen.

Sandra Zemke, Geschäftsführerin von anonyfy

arbeitsblog: Gibt es auch Nachteile?

Sandra Zemke: Es ist schwieriger, Stellen für junge Menschen mit anonyfy zu besetzen. Gerade bei Ausbildungsplätzen oder Werkstudenten-Tätigkeiten können sich Unternehmen nicht einfach auf Stationen im Lebenslauf oder nachgewiesene Skills verlassen. Umso wichtiger ist es, die geeigneten Screening-Fragen im ersten Schritt zu stellen, dabei unterstützen wir. Jedoch deckt anonyfy nur einen Teil des Prozesses ab – bei den Schritten, die nach anonyfy kommen, können wir Diskriminierung schwer vermeiden. Denn spätestens bei den persönlichen Gesprächen sieht man den Menschen hinter dem Lebenslauf doch. Ich habe allerdings die Erfahrung gemacht, dass die wenigsten bewusst diskriminieren wollen. anonyfy hilft dabei, den ersten unterbewussten Eindruck zu entschärfen. Das Wichtige für die Personalarbeit und Leitungsfunktionen allgemein ist, die Verantwortlichen ausreichend zu schulen.

arbeitsblog: Mit welchen Kosten müssen Unternehmen für anonyfy rechnen?

Sandra Zemke: Wir starten bei 600 Euro pro Monat für einen Job-Post und drei Beteiligte. Für jeden weiteren Job-Post berechnen wir 299 Euro. Wenn eine Stelle besetzt und der Post offline genommen wird, müssen Unternehmen auch nicht weiter bezahlen.

arbeitsblog: Ab wann können sich Unternehmen auf anonyfy freuen?

Sandra Zemke: Zur Feier der Diversity Week launchen wir anonyfy in der ersten Juni-Woche. Damit kann Diversität am Arbeitsplatz richtig durchstarten.

arbeitsblog: Frau Zemke, herzlichen Dank für das Gespräch!


Sandra Zemke

Sandra Zemke ist Wirtschaftsinformatikerin und war lange Zeit in der Corporate-Welt unterwegs. 2021 trennte sich die jetzt 44-Jährige von ihrem letzten Job und gründete anonyfy. Die Plattform entwickelte sie zunächst in Eigenregie und holte schließlich Peter Löber ins Boot, der in der Recruiting-Tech-Welt bereits wertvolle Erfahrungen sammeln konnte und das Team ideal ergänzt.

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