07.01.2020 Alexander Bissels

Dr. Bissels: „VGZ und DGB haben teures, aber erforderliches Verhandlungsergebnis erzielt“

  • Dr. Alexander Bissels, Partner bei CMS Hasche Sigle, fasst das Ergebnis der Tarifverhandlungen zwischen der VGZ und der DGB-Tarifgemeinschaft kompakt zusammen und analysiert das vorläufige Resultat
  • Positiv aus Sicht der Zeitarbeit sei zu werten, dass – zumindest auf tariflicher Ebene – für die nächsten drei Jahre Ruhe einkehren werde. Dies sei vor allem deshalb eine große Errungenschaft, da die DGB-Tarifgemeinschaft ursprünglich einen Entgelttarifvertrag mit einer Laufzeit von zwölf Monaten gefordert habe
  • Andererseits, so der Rechtsexperte, sei das Verhandlungsergebnis teuer erkauft worden. Insbesondere die Entgelterhöhungen im Tarifgebiet Ost mit 7,1 Prozent ab dem 1. April 2021 sei erheblich, aber eine unvermeidbare Folge aus den Tarifvertragsverhandlungen aus 2016, in denen eine Angleichung bereits vorgesehen worden sei

In der Nacht vom 17. auf den 18. Dezember war es schließlich soweit: Die Verhandlungsgemeinschaft Zeitarbeit (VGZ) und die DGB-Tarifgemeinschaft sind sich in der vierten Verhandlungsrunde einig geworden! Nochmal zur Erinnerung – die DGB-Gewerkschaften sind mit als recht „sportlich“ zu bezeichnenden Forderungen in die Tarifgespräche eingestiegen, nämlich mit folgendem Set:

  • Steigerung der Entgelte um 8,5 Prozent mit einer Laufzeit von zwölf Monaten
     
  • Anpassung der Höhe der Zuschläge für Nacht-/Sonntagsarbeit/Feiertage an die Zuschläge, die im Kundenbetrieb für Stammbeschäftigte gelten
     
  • Erhöhung der Urlaubsdauer: 28 Tage im ersten Beschäftigungsjahr, 30 Tage ab dem zweiten Beschäftigungsjahr
     
  • Höhe der Sonderzahlungen: insgesamt in Höhe von einem Monatsentgelt; davon soll ein Teil exklusiv an Gewerkschaftsmitglieder gewährt werden

Nach den entsprechenden Meldungen von iGZ, BAP und des DGB sieht das Verhandlungsergebnis wie folgt aus:
 

1) Änderungen im Entgelttarifvertrag

  • Die tariflichen Entgelte werden im Zeitraum von Januar bis März 2020 nicht angepasst (sogenannte „Nullmonate“)
     
  • Die erste Erhöhung der Entgelte erfolgt mit Wirkung zum 1. April 2020
     
  • Die Entgelttarifverträge haben eine Laufzeit von drei Jahren und können erstmals zum 31. Dezember 2022 gekündigt werden


Konkret sind die Erhöhungen der tariflichen Entgelte über die nächsten 36 Monate wie folgt ausgestaltet worden:

  • Tariferhöhung ab dem 1. April 2020:
     
    • Tarifgebiet West: + 1,9 Prozent
       
    • Tarifgebiet Ost: + 2,31 Prozent (EG 1) sowie + 3,0 Prozent (EG 2 bis 9)
       
  • Tariferhöhung ab dem 1. Oktober 2020:
     
    • Tarifgebiet West: keine Erhöhung
       
    • Tarifgebiet Ost: + 2,2 Prozent
       
  • Tariferhöhung ab dem 1. April 2021:
     
    • Tarifgebiet West: + 3,0 Prozent
       
    • Tarifgebiet Ost: + 7,1 Prozent; dies entspricht der durchschnittlichen Erhöhung zur damit vollzogenen Angleichung der Entgelte in den Tarifgebieten West und Ost, die bereits während der Tarifvertragsverhandlungen 2016 vereinbart wurde. Damit entfällt die Differenzierung in eine Entgelttabelle Ost und West
       
  • Tariferhöhung ab dem 1. April 2022:
     
    • bundesweit einheitlich um + 4,1 Prozent


Die vollständigen Entgelttabellen mit den zukünftigen Anpassungen der Vergütung ab dem Jahr 2020 finden Sie hier.
 

2) Änderungen im Entgeltrahmentarifvertrag

  • Wegfall der „automatischen“ Höhergruppierung von EG 3 in die EG 4 nach einer einjährigen Betriebszugehörigkeit des Zeitarbeitnehmers
     
  • Neuregelung der EG 2 bis 4 mit Wirkung zum 1. Juli 2020, die mit einer Aufspaltung der bisherigen EG 2 in eine EG 2a und eine EG 2b verbunden ist. Die neuen Entgeltgruppen werden wie folgt beschrieben:
     
    • EG 2a: Tätigkeiten, die eine Anlernzeit, eine fachbezogene Berufserfahrung oder fachspezifische Kenntnisse erfordern
       
    • EG 2b: Tätigkeiten, die eine fachspezifische Qualifikation erfordern
       
    • EG 3: Tätigkeiten, die eine zweijährige Ausbildung erfordern
       
    • EG 4: Tätigkeiten, die eine dreijährige Ausbildung erfordern

3) Änderungen im Manteltarifvertrag

Jahressonderzahlung:

  • Die Tarifvertragsparteien haben eine sukzessiv erfolgende Erhöhung der Jahressonderzahlung ab dem Jahr 2021 bis zum Jahr 2023 vereinbart (auf maximal 400,00 EUR brutto). Gewerkschaftsmitglieder erhalten dabei eine sogenannte Vorteilsregelung, wenn diese bei Fälligkeit der jeweiligen Jahressonderzahlung bereits zwölf Monate Mitglied der Gewerkschaft sind und dies unaufgefordert gegenüber dem Personaldienstleister nachweisen
  • Die in der obigen Tabelle aufgeführten Beträge (brutto) gelten jeweils für das tarifliche Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Die Jahressonderzahlung und die Vorteilsregelung werden ab dem Jahr 2024 tarifdynamisch auf Basis der Eckentgeltgruppe (hier: EG 4) fortentwickelt
     

Urlaubsanspruch:

Mit Wirkung zum 1. Januar 2021 wird der tarifliche Urlaubsanspruch der Zeitarbeitnehmer wie folgt erhöht:

  • Im ersten Beschäftigungsjahr: 25 Tage (bisher: 24 Tage)
     
  • Im zweiten und dritten Beschäftigungsjahr: 27 Tage (bisher: 25 bzw. 26 Tage)
     
  • Ab dem vierten Beschäftigungsjahr: 30 Tage (bisher: 28 Tage; ab dem fünften Beschäftigungsjahr: 30 Tage)
     

Arbeitszeitkonto (nur im Manteltarifvertrag iGZ/DGB):

  • Jahresarbeitszeitkonto
     
  • Saldierung der Stunden von bis zu 150 Plus- und bis zu 105 Minusstunden möglich
     
  • Erfordernis einer sogenannten Nullstellung im Kalenderjahr
     
  • Möglichkeit der Übertragung
     

Die Tarifparteien haben sich zudem darauf verständigt, dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) vorzuschlagen, die in diesem Tarifabschluss vereinbarten Stundenentgelte der EG 1 West und Ost als Lohnuntergrenze im Sinne von § 3a AÜG in einer Rechtsverordnung festzusetzen zu lassen.

Die Tarifvertragsparteien haben eine Erklärungsfrist bis zum 12. Februar 2020 vereinbart. Die Tarifkommissionen von BAP und iGZ haben das Verhandlungsergebnis schon abgenickt. Die DGB-Gewerkschaften müssen sich noch die Zustimmung der zuständigen Gremien einholen. Erfolgt dies, treten die tariflichen Regelung mit Wirkung zum 1. Januar 2020 in Kraft.

Bewertung

Zunächst ist festzustellen, dass – eingedenk der Ausgangsforderungen der DGB-Tarifgemeinschaft – im Rahmen der abgeschlossenen Tarifvertragsverhandlungen „dicke Bretter gebohrt werden mussten“. Der Abschluss ist vor dem Jahreswechsel nach langwierigen und zähen Verhandlungen gelungen – das sind zunächst gute Nachrichten. Jedoch darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Verhandlungsergebnis teuer erkauft worden ist. Die vereinbarten Entgelterhöhungen, insbesondere im Tarifgebiet Ost, haben es in sich. Dies ist aber auch eine Folge aus den Tarifvertragsverhandlungen in 2016, in denen eine Angleichung der Vergütung im Tarifgebiet Ost an die Entgelte in Tarifgebiet West bereits vorgesehen war. Daraus resultiert die erhebliche Erhöhung im Osten ab dem 1. April 2021 mit 7,1 Prozent.

Die Erhöhungen des tariflichen Entgeltes dürften schwierige Verhandlungen mit den Kunden bedeuten, um die entstehenden, nicht unerheblichen Mehrkosten über die Erhöhung der Verrechnungssätze weitergeben zu können.

– Dr. Bissels sieht schwierige Kundengespräche auf die Personaldienstleister zukommen:

Interessant ist, dass gerade mit Blick auf die Jahressonderzahlungen eine Vorteilsregelung für Gewerkschaftsmitglieder vereinbart wurde, die sich nicht zuletzt in einer monetären Besserstellung niederschlägt. Der Hintergrund ist klar. Der Organisationsgrad in der Zeitarbeitsbranche ist gering. Durch entsprechende finanzielle Anreize soll die Bereitschaft der Zeitarbeitnehmer gesteigert werden, in die DGB-Gewerkschaft einzutreten. Ob dies gelingt, bleibt abzuwarten. Ob die Anreizwirkungen einer erhöhten tariflichen Jahressonderzahlung unter Berücksichtigung der Tatsache, dass für eine entsprechende Gewerkschaftsmitgliedschaft in der Regel ein Prozent des monatlichen Bruttoverdienstes gezahlt werden muss, tatsächlich Früchte tragen werden, wird letztlich ein (einzelfallabhängiges) Rechenspiel sein.

Spannend dürften zudem die neu für den Manteltarifvertrag iGZ/DGB verhandelten Bestimmungen zum Arbeitszeitkonto sein. Hier bleibt abzuwarten, wie sich die Änderungen im Detail darstellen.

Auf tariflicher Ebene kehrt Ruhe ein
Trotz der sich im Verhandlungsergebnis wiederfindenden „harten Kost“ muss festgehalten werden, dass – zumindest auf tariflicher Ebene – für die nächsten drei Jahre Ruhe einkehren wird. Dies ist sicherlich die größte Errungenschaft des hiesigen Verhandlungsergebnisses, insbesondere wenn berücksichtigt wird, dass die DGB-Tarifgemeinschaft zunächst einen Entgelttarifvertrag mit einer Laufzeit von zwölf Monaten gefordert hat. Die Erhöhungen des tariflichen Entgeltes dürften insoweit schwierige Verhandlungen mit den Kunden bedeuten, um die entstehenden, nicht unerheblichen Mehrkosten über die Erhöhung der Verrechnungssätze weitergeben zu können. In vertrieblicher Hinsicht dürfte es dabei noch problematischer werden, die insoweit ergänzend kostentreibenden Faktoren, zum Beispiel die Erhöhung des Urlaubsanspruchs und der Jahressonderzahlungen, auf die Verrechnungssätze umzulegen und dies dem Kunden entsprechend „zu verkaufen“.

Fazit

Gesamtbetrachtend muss das Verhandlungsergebnis letztlich als schmerzhafter, aber wohl erforderlicher Kompromiss angesehen werden, in dem es gelungen ist, die mitunter utopisch anmutenden Forderungen der Gewerkschaft ganz oder zumindest teilweise abzuwehren. Eine genauere Analyse kann dabei erst erfolgen, wenn und soweit die Tarifverträge letztlich im Wortlaut vorliegen. Darüber hinaus bleibt abzuwarten, ob die zuständigen Gremien der DGB-Gewerkschaften das Verhandlungsergebnis durchwinken. Davon dürfte auszugehen sein, gewisse Unsicherheiten sind dabei jedoch nicht auszuschließen.


Dieser Beitrag wurde von Dr. Alexander Bissels erstellt und erschien zuerst in einer Sonderausgabe des Infobriefs Zeitarbeit im Dezember 2019.


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