06.06.2023 Alexander Bissels
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Ein Sturm im Wasserglas! BAG bestätigt die Wirksamkeit der Tarifverträge der Zeitarbeit

  • Das BAG musste im sogenannten Gesamtschutzverfahren entscheiden, ob durch die Tarifverträge der Zeitarbeit vom Gleichstellungsgrundsatz abgewichen werden kann – und hat dies bejaht.
  • Wurden damit alle Fragen rund um den Gesamtschutz in der Zeitarbeit abschließend geklärt?
  • Dr. Alexander Bissels, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei CMS Hasche Sigle, ordnet die Entscheidung ein und erläutert, welche Besonderheiten es noch zu beachten gibt.

Was bisher geschah – oder: eine Kurzzusammenfassung der Ereignisse, die zum aktuellen Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) geführt haben. Eine Zeitarbeitnehmerin, die bei einem Personaldienstleister im Rahmen eines befristeten Arbeitsvertrags beschäftigt und von Januar bis April 2017 einem Unternehmen des Einzelhandels als Kommissioniererin überlassen worden war, hatte auf Ausgleichszahlung geklagt. Der Hintergrund: Das für das entsprechende Arbeitsverhältnis geltende Tarifwerk iGZ/DGB wich von dem gesetzlich geregelten Grundsatz der Gleichstellung, u.a. in Bezug auf das Arbeitsentgelt, ab.

Die Klage wurde vom Arbeitsgericht Würzburg, die Berufung vom Landesarbeitsgericht Nürnberg abgewiesen. Nach Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) und dessen Urteil vom 15.12.2022 hat das BAG über die von der Klägerin eingelegte Revision am 31.05.2023 entschieden und diese – aus Sicht der Branche hoch erfreulich – endgültig zurückgewiesen. In seinem aktuellen „Infobrief Zeitarbeit“ ordnet Dr. Alexander Bissels, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei CMS Hasche Sigle, die Entscheidung ein:

Kommentar von Dr. Alexander Bissels

Dr. Alexander Bissels (Foto CMS)

Das BAG bestätigt mit seiner Entscheidung vom 31.05.2022 richtigerweise, dass über die Gewährung der Vergütung in verleihfreien Zeiten an den Zeitarbeitnehmer ein vom EuGH verlangter, hinreichender Ausgleichsvorteil vorliegt, der über die Tarifwerke der Zeitarbeit die Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz rechtfertigt. Dies wurde – in Gänze oder zumindest für befristet mit Zeitarbeitnehmern abgeschlossene Arbeitsverhältnisse – im Vorfeld zur Verhandlung vor dem 5. Senat in der Literatur teilweise in Abrede gestellt.

Das BAG ist dieser zeitarbeitskritischen Ansicht jedoch vollkommen zu Recht nicht gefolgt, wenngleich die sich aus der Pressemitteilung ergebende "Absolutheit" des Urteils durchaus als überraschend – im positiven Sinne – zu bezeichnen ist. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Entscheidung des EuGH überwiegend so verstanden wurde, dass sich der Ausgleichsvorteile aus den tariflichen Regelungen selbst ergeben müssten, ohne dort freilich ausdrücklich als solche bezeichnet zu werden. Das BAG zieht – insoweit ergänzend – den Zeitarbeitnehmer schützende gesetzliche Vorschriften und Bestimmungen heran, u.a. die Lohnuntergrenze nach § 3a AÜG oder den gesetzlichen Mindestlohn nach dem MiLoG sowie die grundsätzliche zeitliche Grenze von maximal neun Monaten, innerhalb derer über die Tarifverträge der Zeitarbeit der equal pay-Grundsatz abbedungen werden kann (Ausnahme: Einschlägigkeit von Branchenzuschlagstarifverträgen). Dies ist nur folgerichtig, da der gesetzliche Rahmen die Grenze bildet, innerhalb derer sich die Tarifvertragsparteien zur Schaffung eines zu gewährleistenden Gesamtschutzes bewegen müssen. Es würde wenig Sinn machen, wenn die Tarifvertragsparteien den gesetzlichen Schutzrahmen im Tarifvertrag nachzeichnen müssten, nur damit sich der Gesamtschutz – dann deklaratorisch – auch aus den tariflichen Bestimmungen ergibt. Das Schutzniveau der Zeitarbeitnehmer und damit deren Gesamtschutz werden zweifelsohne durch die gesetzlichen und tariflichen Regelungen bestimmt; diese stellen eine regulatorische Einheit dar, die nicht – künstlich – in zwei unterschiedliche Ebenen unterteilt werden kann und darf.

Urteil im Volltext muss noch abgewartet werden

Das BAG sieht den Gesamtschutz grundsätzlich auch bei befristeten Arbeitsverhältnissen mit Zeitarbeitnehmern als gewährleistet an. In diesem Zusammenhang dürften aber mit den Zeitarbeitnehmern auf den Einsatz synchronisiert abgeschlossene befristete Arbeitsverhältnisse bis auf weiteres mit Vorsicht zu genießen sein. Ob die vom BAG herangezogenen Ausgleichsvorteile, u.a. durch die Zahlung der Vergütung in verleihfreien Zeiten, diese Konstellationen hinreichend abdecken, sollte final bewertet werden, wenn die vollständig abgesetzten Entscheidungsgründe vorliegen. Gewisse Zweifel daran können angebracht sein, da das BAG als Beispiel für die Möglichkeit von verleihfreier Zeit einen befristeten Arbeitsvertrag anführt, bei dem der Zeitarbeitnehmer nicht ausschließlich für einen bestimmten Einsatz eingestellt wird. Daraus könnte im Umkehrschluss abgeleitet werden, dass (bezahlte) verleihfreie Zeiten gerade nicht eintreten können, wenn der Zeitarbeitnehmer aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrags nur für einen bestimmten Einsatz bei einem Kunden eingestellt worden ist. Hier bleibt aber das Urteil im Volltext abzuwarten. Wenn insoweit jedes Risiko vermieden werden soll, sollte auf eine entsprechende Synchronisierung verzichtet werden – eine vertragliche Gestaltungsform, die von der BA – Gesamtschutz hin, Gesamtschutz her – in Prüfungen in der Vergangenheit so oder so kritisch betrachtet und sogar beanstandet worden ist.

Meines Erachtens hat die Däubler-Kampagne mit dem Urteil des BAG vom 31.05.2023 ausgedient – das Pferd dürfte nach nun über sechs Jahren (endlich) totgeritten sein.

– Dr. Alexander Bissels

Im Ergebnis ist der befürchtete "Donnerhall" aus Erfurt, der im worst case zu erheblichen Nachzahlungen an Zeitarbeitnehmer auf Entgelt (in Höhe der etwaigen "equal pay-Lücke", begrenzt durch im Arbeitsvertrag vorgesehene Ausschlussfristen) und insbesondere an die DRV auf Sozialversicherungsbeiträge auf ein nicht gewährtes equal pay (Entstehungsprinzip!) hätte führen können, – trotz aller Unkenrufe – ausgeblieben – und das ist gut so! Diese Szenarien sind nach dem Urteil vom BAG damit vom Tisch.

Mit Blick auf die Entscheidung des BAG ist zu erwarten, dass sich die sogenannte Däubler-Kampagne (endlich!) erledigt hat bzw. erledigen wird, wenngleich davon auszugehen ist, dass die Begründung des 5. Senats von deren Vertretern kritisch gesehen und entsprechend argumentativ "angeschossen" wird, wie dies teilweise ersten Berichten und Kommentaren zu entnehmen ist. Möglicherweise wird versucht, die Däubler-Kampagne erneut oder weiterhin zu ertüchtigen, indem ein neuerliches Vorlageverfahren an den EuGH angestrengt werden soll, um die vom BAG entwickelten und als rechtlich fehlerhaft bzw. als unpassend empfundenen Grundsätze überprüfen zu lassen. Ob sich dazu ein vorlagebereites Arbeitsgericht in einem passenden Fall tatsächlich findet bzw. ob sich ein solche dann zur Vorlage an den EuGH durchringen kann, mag aber mit einem (großen!) Fragezeichen zu versehen sein. Meines Erachtens hat die Däubler-Kampagne mit dem Urteil des BAG vom 31.05.2023 ausgedient – das Pferd dürfte nach nun über sechs Jahren (endlich) totgeritten sein.

Endlich Klarheit für die Zeitarbeitsbranche

Das bisher gelebte Modell der Zeitarbeit hat sich auf Grundlage des aktuellen Rechtsrahmens im Ergebnis als belastbar erwiesen – nun auch mit einem höchstrichterlichen Qualitätssiegel – und kann folglich auf Basis der bisher schon bestehenden gesetzlichen und tariflichen Regularien grundsätzlich uneingeschränkt fortgesetzt werden. Das Thema "Gesamtschutz" ist damit geklärt worden – und zwar im Sinne der Zeitarbeitsbranche. Dieser wurde vom nationalen Gesetzgeber und von den Tarifvertragsparteien hinreichend beachtet. Es ist weder eine Anpassung des AÜG noch der Tarifverträge der Zeitarbeit erforderlich und/oder geboten. Im aktuellen Koalitionsvertrag ist vorgesehen, dass "beim Arbeitnehmerüberlassungsgesetz im Falle einer europäischen Rechtsprechung geprüft wird, ob und welche gesetzlichen Änderungen unter Berücksichtigung der Gesetzesevaluierung vorzunehmen sind" (S. 56). Eine "europäische Rechtsprechung" gebietet eine Anpassung des AÜG spätestens nach der Entscheidung des BAG vom 31.05.2023 nicht mehr. Die inzwischen veröffentlichte Evaluierung des AÜG hat zwar aufgezeigt, dass die Reform im Jahr 2017, insbesondere die Kombination einer gesetzlichen Überlassungshöchstdauer mit einer begrenzten Abweichungsmöglichkeit vom equal pay-Grundsatz, nicht die gewünschten Effekte gezeitigt hat. Es darf aber zweifelhaft sein, ob dieser Umstand allein ausreichen wird, das AÜG in dieser Legislaturperiode erneut "anzupacken" und dieses weiter zu schärfen. Angesichts der "politischen Farblehre" in Berlin dürfte dies nicht wahrscheinlich sein. In den Tarifverträgen der Zeitarbeit muss nach den Feststellungen des BAG kein ergänzender Ausgleichsvorteil vorgesehen werden; ob dieses Thema aber nicht doch von den Gewerkschaften auf die Agenda genommen wird, was möglich ist, bleibt abzuwarten.

Gesamtbetrachtend dürften die Verhandlungen mit den DGB-Gewerkschaften in Zukunft, auch mit Blick auf die aktuelle Auseinandersetzung über die Gewährung einer Inflationsausgleichsprämie im M+E-Bereich, zumindest nicht leichter werden – dies insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass seitens des Vorsitzenden Richters am BAG im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgehalten wurde, dass die Gewerkschaft doch der Auffassung gewesen sein müsste, dass der Tarifvertrag rechtmäßig, nämlich unter Wahrung des Gesamtschutzes der Zeitarbeitnehmer, sein müsste, sonst hätten diese selbigen doch nicht geschlossen. Ob dies allerdings zu einem Umdenken bei der DGB-Tarifgemeinschaft führt, zukünftig keine Tarifverträge mehr abzuschließen, darf bezweifelt werden, ggf. wird aber (noch) härter verhandelt.

Gesamtbetrachtend genügen die Tarifverträge der Zeitarbeit in der aktuellen Fassung den Anforderungen des EuGH bzw. der RL und können folglich zukünftig als Rechtsgrundlage dienen, um zulässigerweise vom Gleichstellungsgrundsatz abzuweichen. Insoweit gute Nachrichten für die Zeitarbeitsbranche. Die Tarifverträge der Zeitarbeit stellen eine rechtlich wirksame "Basis" dar, um unter Wahrung des Gesamtschutzes von Zeitarbeitnehmern den Gleichstellungsgrundsatz abbedingen zu können. Dies gilt im Übrigen nicht nur für das streitgegenständliche Tarifwerk iGZ bzw. den mit ver.di geschlossenen Tarifvertrag, sondern auch für das "Schwestertarifwerk" des BAP bzw. den mit ver.di geschlossenen Tarifvertrag, denn beide Tarifverträge sind – mit Blick auf die Ausgleichsvorteile und folglich auf die Gewährung der Vergütung in verleihfreien Zeiten – gleich gelagert bzw. aufgesetzt. Daran gibt es nach dem Urteil des BAG nichts mehr zu deuteln.

Zusammenfassend: eine Entscheidung mit Augenmaß und ein guter Tag für die Zeitarbeit!

 

Dieser Beitrag von Dr. Alexander Bissels wurde zunächst im „Infobrief Zeitarbeit“ veröffentlicht.


Online-Seminar „Zeitarbeit aktuell: Gesamtschutz für Zeitarbeitnehmer“ mit Dr. Alexander Bissels

Am Dienstag, den 13. Juni 2023, findet um 11.00 Uhr ein Online-Seminar von zvoove und Dr. Alexander Bissels statt. Dabei erläutert der Rechtsexperte mehr über die Hintergründe des BAG-Urteils, geht auf die möglichen Auswirkungen ein und gibt Handlungsempfehlungen für Personaldienstleister. Interessierte können sich hier anmelden.

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