08.09.2021 Redaktion arbeitsblog

Equal Pay: Gute Miene, böses Spiel?

  • Kaum ein anderes Thema spaltet die Arbeitswelt rund um die Personaldienstleistungen so stark wie Equal Pay. Seit der Einführung der Regelung im Jahr 2017 wurden mehrere Umfragen unter Arbeitnehmenden und Zeitarbeitsunternehmen durchgeführt, um die Auswirkungen einzuordnen.
  • Vor dem Hintergrund der anstehenden Bundestagswahl kocht die Debatte rund um die Equal-Pay-Ansprüche einmal mehr hoch. Eine aktuelle Umfrage der Unternehmensberatung ES Edgar Schröder in Kooperation mit index Research zeigt auf, dass vor allem Personaldienstleister mit der Regelung unzufrieden sind. Hoher Aufwand in der Verwaltung, kürzere Einsatzzeiten für Geringqualifizierte und fehlende Akzeptanz seitens Kundenunternehmen für die Dokumentationspflichten sind einige der Faktoren, die hierbei eine Rolle spielen.
  • Für die in der Zeitarbeit beschäftigten Menschen bedeutet Equal Pay zwar einen höheren Lohn, aber gleichzeitig auch eine höhere Unsicherheit. Woran liegt das – und welche Änderungen wären nötig, um Equal Pay in der Praxis sinnvoll umzusetzen?

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit – das klingt doch gerecht, oder? Das ist auch der Ansatz hinter der Regelung, die im Jahr 2017 eingeführt wurde. Sie besagt, dass Zeitarbeitskräfte nach einer Übergangsphase von neun Monaten das gleiche Gehalt erhalten müssen wie Stammbeschäftigte des entleihenden Unternehmens in vergleichbarer Position. Ausnahmen sind dann möglich, wenn das Arbeitsverhältnis über einen Branchentarifvertrag geregelt ist.

Ursprünglich als ein Schritt in Richtung Gleichbehandlung konzipiert, sorgt Equal Pay gleichzeitig immer wieder für Verunsicherung unter den Zeitarbeitskräften. Auch für Personaldienstleister ist die Regelung ein zweischneidiges Schwert. Aus der aktuellen Umfrage der Unternehmensberatung ES Edgar Schröder und des Personalmarktforschers index Research geht hervor, dass nur sieben Prozent der Personaldienstleister Equal Pay ausschließlich oder überwiegend positiv beurteilen.

Gleichzeitig werben einige Parteien in ihren Wahlprogrammen damit, Equal Pay gleich ab dem ersten Einsatztag einführen zu wollen. Ob dieses Vorhaben, das etwa bei der SPD oder den Grünen auf dem Plan steht, letztlich in die Tat umgesetzt wird, hängt freilich vom Ausgang der Wahl ab, von der Regierungskonstellation und den Ergebnissen der Koalitionsverhandlungen ab. Doch die Ergebnisse der aktuellen Umfrage von Edgar Schröder und die zahlreichen Kommentare, die uns über Social Media als Reaktion auf die Veröffentlichung unserer Themenseite zur Bundestagswahl erreichten, waren für uns jetzt schon Grund genug, die Regelung unter die Lupe zu nehmen. Welche Vor- und Nachteile bringt Equal Pay in der Praxis mit sich? Und welche Auswirkungen hätte die Einführung ab Tag eins?

Zeitarbeit als (Wieder-)Einstieg in den Arbeitsmarkt

Im vergangenen Jahr hatte das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln eine Studie mit etwa 8.300 Zeitarbeitskräften durchgeführt. Für rund 60 Prozent der Befragten stellte die Arbeitnehmerüberlassung demnach eine Möglichkeit dar, Arbeitslosigkeit zu vermeiden oder zu beenden. Das gaben sowohl Arbeitnehmende ohne Berufsausbildung (64 Prozent) als auch Fachkräfte mit akademischem Hintergrund (50 Prozent) an. Etwa 40 Prozent der Beschäftigten konnten sich zudem vorstellen, dauerhaft als Zeitarbeitskraft tätig zu sein – zumal sie ab dem neunten Monat den gleichen Lohn oder Zuschläge auf dem Grundgehalt bekamen.

Erhöht Equal Pay die Unsicherheit?

Der dauerhaften Beschäftigung in der Zeitarbeit – zumindest für das gleiche Kundenunternehmen – stehen zwei Faktoren im Weg. Zum einen die Überlassungshöchstdauer, die aktuell bei 18 Monaten liegt. Zum anderen die Tatsache, dass viele Arbeitskräfte nach Ablauf der neun Monate vom Einsatzunternehmen abgemeldet werden. Das ergab die aktuelle Umfrage von Unternehmensberatung ES Edgar Schröder und index Research.

Vor allem bei Arbeitskräften ohne Ausbildung sind die Aussichten auf gleiche Bezahlung im Vergleich gering. Nur 14 Prozent der ungelernten Zeitarbeitnehmenden erhalten nach Ablauf der neun Monate Equal Pay. Mit 41 Prozent überwiegt der Anteil derjeniger, die vom Einsatzunternehmen abgemeldet werden. Solche Entwicklungen hatten Arbeitnehmende bereits wenige Monate nach der Einführung der Regelung befürchtet – so hatte eine Lünendonk-Umfrage ergeben, dass für etwa 54 Prozent der Beschäftigten in der Zeitarbeit die Nachteile der Gesetzgebung überwiegten. Dass viele Menschen in den vergangenen vier Jahren tatsächlich negative Erfahrungen gemacht haben, deckt sich auch mit den Berichten, die unsere Redaktion etwa über unseren Facebook-Kanal erreichen.

Besser stehen die Chancen von Fachkräften mit abgeschlossener Berufsausbildung oder akademischem Hintergrund. Für die Mehrheit dieser beiden Gruppen gilt ein Branchentarifvertrag und bei etwa einem Fünftel wird Equal Pay nach Ablauf der neun Monate durchgesetzt. Doch auch hier wird jede vierte Fachkraft kurz vor Inkrafttreten der Equal-Pay-Regelung vom Einsatzunternehmen abgemeldet.

Für die Arbeitnehmenden bedeutet der häufige Arbeitsplatzwechsel eine hohe Unsicherheit, für den Personaldienstleister unter anderem einen erhöhten Verwaltungsaufwand. Da überrascht es wenig, dass knapp ein Drittel der von ES Edgar Schröder und index Research befragten Personaldienstleister angibt, dass die Nachteile von Equal Pay überwiegen.

Equal Pay ab Tag 1? Zeitarbeit vs. Agenturmodell

Scheinbar wirkt sich die Regelung, die mit guten Absichten eingeführt wurde und zumindest in der Theorie das Image der Zeitarbeit verbessern könnte, in der Praxis negativ aus. Besonders betroffen sind die ungelernten und geringqualifizierten Zeitarbeitskräfte – dabei stellt gerade für sie die Arbeitnehmerüberlassung eine wichtige Möglichkeit des (Wieder-)Einstiegs dar.

Dass diese Wirkung zusätzlich verstärkt werden könnte, wenn Equal Pay bereits ab dem ersten Einsatztag gilt, liegt nahe. „Aber in anderen Ländern funktioniert es doch auch!“ – das hören wir in letzter Zeit oft. Was dabei selten berücksichtigt wird: In anderen Ländern gelten zum Teil komplett andere Regelungen. So gilt beispielsweise in Frankreich das Agenturprinzip: Personaldienstleister vermitteln Arbeitskräfte für zeitlich begrenzte Einsätze und stellen sie nicht fest ein. Für den Personaldienstleister bedeutet das

  • kein unternehmerisches Risiko und
  • einen geringen Verwaltungsaufwand.

Für die vermittelten Arbeitskräfte steht dieses Modell für

  • fehlende Planungssicherheit über die Dauer des Einsatzes hinweg und
  • Bereitschaft zu hoher Flexibilität.

Diese Faktoren werden durch das Gehalt ausgeglichen, das höher ausfällt das der Lohn eines Stammbeschäftigten.

Wie könnte dieses Modell in Deutschland funktionieren? Nun, dazu müsste man das System der Zeitarbeit komplett umstellen. Damit wären auch die Tarifverträge der Branche hinfällig. Ob das die Sicherheit für die Zeitarbeitskräfte erhöhen würde, ist fraglich. Unserer Einschätzung nach könnte eine solche Änderung dazu führen, dass (höher-)qualifizierte Fachkräfte über befristete Verträge eingestellt werden und geringqualifizierte Mitarbeitende erneut in die Arbeitslosigkeit abrutschen oder von den Unternehmen ebenfalls mit befristeten Verträgen angestellt werden – zum Mindestlohn, der zurzeit unter dem Niveau des Mindestlohnes liegt, der in den Tarifvertragswerken des iGZ und BAP festgelegt ist.

Eine andere Möglichkeit, die auch von Experten des Öfteren gefordert wird, ist hingegen die weitestgehende Deregulierung der Zeitarbeit – etwa über die Abschaffung der Höchstüberlassungsdauer. Dadurch, so Stimmen aus der Branche, wäre die längerfristige Planungssicherheit gegeben. Doch auch in diesem Fall bleiben Fragen offen: Könnte eine solche Anpassung der Regelungen dazu führen, dass Zeitarbeit von Kundenunternehmen als (günstigere) Alternative zur direkten Einstellung von Mitarbeitenden führen würde?

Doch aktuell lässt sich keine eindeutige Aussage treffen. Ob und in welchem Rahmen sich die Regelungen rund um die Zeitarbeit tatsächlich verändern, hängt zum einen wie bereits erwähnt vom Ausgang der Bundestagswahl ab, zum anderen auch von der anstehenden Evaluierung der AÜG-Anpassung und nicht zuletzt natürlich noch von der ausstehenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in Sachen Equal Pay und Zulässigkeit eventueller Abweichungen.

Hier geht’s zur Pressemitteilung über die aktuelle Umfrage von ES Edgar Schöder und index Research.

Hier erfahren Sie mehr zu den aktuellen Themen rund um die Bundestagswahl.

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