12.07.2022 Redaktion arbeitsblog

„Personalvermittlung hat ihre ganz eigenen Tücken.“

  • Der Arbeitsmarkt unterliegt bereits seit Jahren einem starken Wandel. Während früher die Anforderungen der Arbeitgeber im Mittelpunkt standen und unter Fachkräften starke Konkurrenz herrschte, verhält es sich heute genau andersherum: Am sogenannten „Arbeitnehmermarkt“ suchen Unternehmen händeringend nach qualifiziertem Personal und buhlen um die Gunst der potenziellen Mitarbeitenden.
  • Diese Entwicklung erschwert die Situation für Personaldienstleister, die sich schwerpunktmäßig auf die klassische Arbeitnehmerüberlassung konzentrieren. Denn gefragte Fachkräfte sind in der Regel nicht dazu bereit, ihren festen Job für eine Anstellung in der Zeitarbeit zu kündigen.
  • Höchste Zeit also, sich nach alternativen Geschäftsfeldern umzusehen. Eine Möglichkeit bietet die Personalvermittlung. Diese stellt jedoch ganz neue Anforderungen an Personaldienstleister und ihre Teams. Darüber haben wir mit Ruth Döring und Hubertus Dejl von der GIANT-HR Mittelstandsberatung GmbH gesprochen.

arbeitsblog: Frau Döring, Herr Dejl, wie beurteilen Sie die aktuelle Lage auf dem Arbeitsmarkt – gerade im Hinblick auf das Recruiting?

Ruth Döring: Aus Unternehmenssicht ist die Lage bereits seit Längerem angespannt – und wird es mittel- bis langfristig weiterhin bleiben. Die Zahl der offenen Stellen wächst kontinuierlich. Allein zwischen dem ersten Quartal 2020 und dem ersten Quartal 2022 ist sie laut einer Hays-Studie um 125 Prozentpunkte gestiegen. Hochqualifizierte Fachkräfte erhalten häufig mehrere Angebote gleichzeitig und haben die Wahl. Das macht es Personaldienstleistern nicht leicht, denn sie konkurrieren nicht nur untereinander, sondern auch mit den Unternehmen, die direkt nach passenden Bewerbern suchen.

Hubertus Dejl: Hinzu kommt, dass die Zeitarbeit weiterhin mit einem „angeknacksten“ Image zu kämpfen hat. Wenn ich als Arbeitnehmender die Wahl zwischen einer Direktanstellung und einer zeitlich befristeten Überlassung habe – wie entscheide ich mich, was meinen Sie?

arbeitsblog: Wie können sich Personaldienstleister in dieser herausfordernden Zeit durchsetzen?

Hubertus Dejl: Viele neigen leider dazu, sich auf herkömmliche Geschäftsfelder und vertraute Abläufe zu konzentrieren. Damit werden sie auf Dauer allerdings nicht konkurrenzfähig bleiben. Vielmehr müssen sie nach vorne schauen und auch mal über den Tellerrand blicken. Welche Alternativen gibt es? Aktuell liegt der Schwerpunkt für 92 Prozent der Personaldienstleister auf der klassischen Arbeitnehmerüberlassung. 92 Prozent! Dabei gibt es vielversprechende Alternativen – Personaldienstleister sollten allerdings frühzeitig handeln, sonst verpassen sie die Gelegenheit.

Hubertus Dejl

arbeitsblog: Was meinen Sie damit?

Hubertus Dejl: Viele gut ausgebildete Fachkräfte ziehen Jobangebote nur dann ernsthaft in Erwägung, wenn sie die Aussicht auf eine Direktanstellung haben. Wenn man das im Hinterkopf behält, leuchtet es ein: Personalvermittlung ist eine gute Chance, sich auf dem schwierigen Arbeitsmarkt besser zu positionieren. Das haben zwar schon einige Personaldienstleister erkannt, wie wir auch in unserer täglichen Praxis anhand der Anfragen merken, die uns erreichen. Dennoch setzen nach Angaben von Lünendonk nur etwa drei Prozent der Personaldienstleister darauf – diese Zahl ist absurd niedrig.

Viele neigen dazu, sich auf herkömmliche Geschäftsfelder und vertraute Abläufe zu konzentrieren. Damit werden sie auf Dauer allerdings nicht konkurrenzfähig bleiben.

– Hubertus Dejl

arbeitsblog: Wie erklären Sie sich das?

Ruth Döring: Zum einen ist es die Arbeitnehmerüberlassung der Zweig, der kontinuierlich Umsätze einbringt. Damit ist sie natürlich attraktiv und verleitet dazu, die Tatsache auszublenden, dass diese Betrachtungsweise eher kurzsichtig ist. Zum anderen erfordert die Personalvermittlung zum Teil sehr unterschiedliche Kompetenzen, wenn man sie richtig betreiben will.

Ruth Döring

arbeitsblog: Warum ist das so? Schließlich werden in beiden Fällen Arbeitskräfte gesucht – worin liegen die Unterschiede?

Ruth Döring: Die Unterschiede fangen schon beim Kundengespräch an. Über Direktvermittlung werden in der Regel Stellen mit höheren Anforderungen besetzt – das wirkt sich auch auf den Dialog mit den Arbeitgebern aus.

Hubertus Dejl: Das gilt übrigens auch im Hinblick auf das Recruiting. Die Qualität der Vorstellungsgespräche ist meist deutlich anspruchsvoller – genau wie die Suche an sich. Personalvermittlung hat durchaus ihre eigenen Tücken.

Aufgrund der Unterschiede und der jeweiligen Besonderheiten ist es wichtig, beide Bereiche – Überlassung und Personalvermittlung – im operativen Geschäft klar voneinander zu trennen.

– Ruth Döring

arbeitsblog: Können Sie uns hierzu ein paar Beispiele geben?

Hubertus Dejl: Gerne. Schauen wir uns zum Vergleich noch einmal die Arbeitnehmerüberlassung an: Hier besteht der richtig aufwendige Teil aus Betreuungs- und Koordinierungsaufgaben sowie der Steuerung der überlassenen Mitarbeitenden – alles Aufgaben, die erst nach der Vermittlung anfallen. Bei einer Direktanstellung beim Kundenunternehmen hingegen entsteht der höchste Aufwand für den Personaldienstleister vor der Vermittlung. So ist Active Sourcing beispielsweise enorm wichtig und die genutzten Kanäle vielfältiger. Die gezielte Kandidatensuche über soziale Netzwerke ist ein Beispiel dafür. Darüber hinaus muss der Personaldienstleister sich zunächst einmal vertieft mit dem Unternehmen und den Bewerbenden auseinandersetzen. Denn bei einer Direktvermittlung ist es umso wichtiger, dass beide Seiten langfristig zueinander passen.

arbeitsblog: Die Direktvermittlung erfordert also viel Zeit und Ressourcen, richtig?

Ruth Döring: Genau. Vor allem, da es aufgrund der Unterschiede und jeweiligen Besonderheiten wichtig ist, beide Bereiche – Überlassung und Personalvermittlung – im operativen Geschäft klar voneinander zu trennen.

Hubertus Dejl: Und damit kommen wir zu einem weiteren Grund, wieso Personalvermittlung noch nicht so verbreitet ist: Viele Personaldienstleister haben schlichtweg keine oder nicht genügend Erfahrungen in diesem Bereich.

arbeitsblog: … und trauen sich nicht, neue Wege zu gehen?

Hubertus Dejl: Das könnte man annehmen – und es ist sehr schade. Doch ich habe bereits zu Beginn unseres Gesprächs erwähnt, dass wir mittlerweile immer mehr Anfragen im Zusammenhang mit Personalvermittlung bekommen. Diese Entwicklung freut mich umso mehr.

arbeitsblog: Wie genau unterstützen Sie Personaldienstleister, die Personalvermittlung in ihr Portfolio aufnehmen möchten?

Ruth Döring: Wir bieten komplexe Beratung – von der Erstellung eines Konzepts, wie der jeweilige Personaldienstleister die Personalvermittlung in seine Geschäftsfelder integrieren kann, über das Recruiting passender interner Mitarbeitender, Schulungen und Coachings bis hin zur operativen Marktbegleitung. Somit schaffen wir gemeinsam mit dem Personaldienstleister eine solide Basis, die auf seine individuelle Situation abgestimmt ist.

arbeitsblog: Sich in neue Gefilde trauen und sich bei Bedarf Hilfe von außen zu holen, scheinen zwei gute Tipps für Personaldienstleister zu sein, die sich zukunftsorientiert aufstellen wollen. Was würden Sie ihnen darüber hinaus raten?

Hubertus Dejl: Tauschen Sie sich untereinander aus – bleiben Sie im Gespräch mit anderen Personaldienstleistern! So behalten Sie bedeutende Trends eher im Blick. Neben der Personalvermittlung werden aus unserer Sicht in den kommenden Jahren auch die Themen Personalentwicklung und (Weiter-)Qualifikation eine wichtige Rolle. Und auch sie bieten neue Chancen für Personaldienstleister. Nutzen Sie sie!

arbeitsblog: Ein schönes Schlusswort! Frau Döring, Herr Dejl, vielen Dank für das spannende Gespräch!


Ruth Döring

Ruth Döring ist bereits seit 24 Jahren in der Personaldienstleistung tätig und war während dieser Zeit als Personalberaterin, Niederlassungs-, Bereichs- und Regionalleiterin sowie als Geschäftsführerin beschäftigt. Bei GIANT-HR liegen die Personalberatung, das Partnermodell und die Personalvermittlung als neue Dienstleistung für Zeitarbeitsunternehmen in ihrer Verantwortung.

Hubertus Dejl

Hubertus Dejl bringt 26 Jahre Berufserfahrung in der Personaldienstleistung mit und war unter anderem als Consultant, Niederlassungsleiter, Regionalleiter, Head of Key Account und Geschäftsführer tätig. Bei GIANT-HR verantwortet er die Bereiche Rec2Rec, Einkauf und Einsatz von Fremdpersonal, das Key-Account- und Projektmanagement sowie die GIANT-HR-Akademie.

Tags

Kontakt

0911974780 info@kontext.com