20.12.2022 Redaktion arbeitsblog

Das EuGH-Urteil zum Gesamtschutz in der Zeitarbeit ist gefallen

  • Ein Thema begleitet die Branche bereits seit Langem – und wird sich als roter Faden auch durch die kommenden Jahre ziehen: die Entscheidung des EuGH in Sachen Gesamtschutz der Zeitarbeitskräfte.
  • Vergangene Woche war es soweit: Am 15. Dezember 2022 gab die Zweite Kammer des Europäischen Gerichtshofs ihr Urteil bekannt.
  • Was bedeutet die Entscheidung für die Zeitarbeitsbranche?

Das lange erwartete Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Gesamtschutz in der Zeitarbeit nach der entsprechenden EU-Richtlinie (Artikel 5 Absatz 3 der Richtlinie 2008/104/EG) ist gefallen. Im aktuellen Blogbeitrag fassen wir alle Infos zum aktuellen Stand zusammen.

Was hat der EuGH entschieden?

Zusammengefasst besagt das Urteil des Europäischen Gerichtshofs Folgendes:

Ein Tarifvertrag, der für Leiharbeitnehmer ein geringeres Arbeitsentgelt als das der unmittelbar eingestellten Arbeitnehmer festlegt, muss Ausgleichsvorteile vorsehen

Ein solcher Tarifvertrag muss einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle unterliegen können

– Auszug aus der Zusammenfassung des EuGH-Urteils

Was bedeutet das für die Branche?

Mit dieser Entscheidung hat sich der Europäische Gerichtshof erstmals über die Auslegung des Rechtsbegriffs „Gesamtschutz“ für Zeitarbeitskräfte nach der EU-Zeitarbeitsrichtlinie geäußert, wie auch die Arbeitgeberverbände BAP und iGZ in einer gemeinsamen Pressemitteilung hervorheben.

Doch wie sich die Entscheidung konkret auf die Zeitarbeit auswirkt, bleibt abzuwarten. Denn: In den Tarifverträgen sind derzeit keine Ausgleichsvorteile für den Fall einer Abweichung vom Equal Pay vorgesehen. Damit müssten sie rein theoretisch angepasst werden, um den Anforderungen zu entsprechen. Ausgleichsregelungen müssen künftig mit aufgenommen werden.

Was ist ein möglicher Ausgleich?

Aktuell werden beispielsweise mehr Urlaubstage oder eine geringere Arbeitszeit als mögliche Ausgleichsvarianten genannt. Der Arbeitgeber muss diesen Ausgleich aber ins Verhältnis zu dem geringeren Lohn setzen: Wer also beispielsweise 50 Prozent weniger verdient als die Stammbelegschaft, dürfe nicht mit einem Urlaubstag mehr abgespeist werden. Das ließ Generalanwalt Anthony Collins schon vor dem Urteil erkennen (Quelle: tagesschau). Über die Ausführungen des Generalanwalts berichteten wir bereits im arbeitsblog. 

Warum aber sprachen wir von einer theoretischen Anpassung der Tarifverträge? Weil mit dem Urteil des EuGH das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.

Wie geht es nun weiter?

Im nächsten Schritt geht das Thema zurück ans Bundesarbeitsgericht (BAG). Dieses hatte sich im Rahmen eines Verfahrens an den EuGH gewandt und muss nun die Antworten aus Luxemburg einordnen. Es bleibt also abzuwarten, zu welchem Beschluss die Richterinnen und Richter in Karlsruhe kommen.

Wann ist mit einem Urteil seitens BAG zu rechnen?

Hier gibt es noch kein konkretes Datum. Experten gehen davon aus, dass der 5. Senat des BAG die EuGH-Vorgaben noch im ersten Halbjahr 2023 umsetzen wird – wie etwa in diesem Beitrag von Edgar Schröder genannt.

Was sagen iGZ und BAP dazu?

In einem gemeinsamen Statement stellen BAP und iGZ ihre Erwartungen bezüglich des erwarteten BAG-Urteils vor:

Jetzt ist es am Bundesarbeitsgericht, sich schützend vor die verfassungsrechtlich garantierte Tarifautonomie zu stellen und die Gestaltung von Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge in der Zeitarbeit auch zukünftig zu ermöglichen, und zwar rechtssicher, praktikabel und attraktiv.

– Auszug aus der gemeinsamen Pressemitteilung des BAP und iGZ

Des Weiteren betonen die Verbände, dass sich die Flächentarifverträge in der Zeitarbeit in den vergangenen 20 Jahren bereits bewährt haben und auch künftig weitergeführt werden sollen.

Was war der Auslöser für den Fall?

Geklagt hatte eine Zeitarbeitnehmerin, die von Januar bis April 2017 in einem Betrieb des Einzelhandels eingesetzt war. Sie erhielt einen Tariflohn nach den tariflichen Bestimmungen der Zeitarbeitsbranche, der geringer war als der Lohn vergleichbarer Stammarbeitskräfte im Einsatzbetrieb. Die Klägerin sah darin einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 der EU-Zeitarbeitsrichtlinie und klagte auf Nachzahlung der Entgeltdifferenz (Equal Pay). Nach Auffassung der Klägerin seien die Tariföffnung im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz sowie die hierauf beruhenden Tarifverträge der Zeitarbeit nicht mit Art. 5 Abs. 3 der EU-Zeitarbeitsrichtlinie vereinbar, da mit diesen Regelungen der von der Richtlinie geforderte „Gesamtschutz der Zeitarbeitnehmer“ nicht gewahrt sei.

Die Klage auf Equal-Pay-Nachforderung war in den Vorinstanzen (AG Würzburg, LAG Nürnberg) erfolglos geblieben. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte im Dezember 2021 das Verfahren ausgesetzt und den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um Vorabentscheidung ersucht – unter anderem mit der Frage, wie der in der EU-Zeitarbeitsrichtlinie verwendete Begriff „Achtung des Gesamtschutzes von Zeitarbeitnehmern“ definiert wird und unter welchen Voraussetzungen die Sozialpartner beim Abschluss von Zeitarbeitstarifverträgen vom Grundsatz gleicher Bezahlung abweichen dürfen.


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